Im Meyer-Burger-Werk in Thun droht 250 Mitarbeitenden die Entlassung. Der Konzern will künftig in China produzieren. Obwohl der Kanton Bern das Unternehmen jahrelang steuerlich begünstigte.
Bald Arbeitslos? Meyer Burger will die Maschinenproduktion in der Schweiz aufgeben. (Foto: Keystone)
Jahrelang galt der Solarzulieferer Meyer Burger als Hoffnungsträger. Eine Art Lieblingskind, zu dem man nicht nur in guten Zeiten hält. Sondern auch bei Millionenverlusten, Kursstürzen und Sparprogrammen. Irgendwann muss doch alles irgendwie gut kommen.
Doch seit rund zwei Wochen ist klar: Es kommt nicht gut. Am 2. November kündete Meyer Burger an, die Produktion am Thuner Firmenhauptsitz zu schliessen und nach China zu verlegen. Man sei «mit dem Werkplatz in Thun kostenmässig nicht mehr konkurrenzfähig». 250 Angestellten, darunter 26 Lernenden, droht der Jobverlust. In Thun sollen einzig die Abteilungen Forschung und Entwicklung, Verkauf und Marketing bleiben.
ÜPPIGE STEUERGESCHENKE
Die Verlagerung ist nicht nur für die Belegschaft ein Schock, sondern auch für Stadt und Kanton. Schliesslich hat Meyer Burger jahrelang von grosszügigen Steuernachlässen profitiert: Grössenordnung 50 Prozent.
Der Berner Regierungsrat gewährte den saftigen Steuerrabatt. Als Massnahme zur Wirtschaftsförderung können die Kantone Unternehmen ganz oder teilweise von Steuern befreien. Damit sollen Anreize für neue Arbeitsplätze und Investitionen geschaffen werden.
Tatsächlich hatte Meyer Burger vor sieben Jahren noch grosse Pläne: Im Thuner Industriegebiet Gwatt, auf 28’000 Quadratmetern städtischem Land, sollte der neue Hauptsitz mit Büroräumlichkeiten und Produktionshalle entstehen. Daneben ein weiteres Gebäude für ein «Kompetenzzentrum Forschung und Entwicklung». Rund 600 Angestelle würden dereinst dort arbeiten. Die Stadt überliess Meyer Burger das nötige Baurecht, dies zu einem jährlichen Zins von 200’000 Franken. Daniel Wegmüller, damals städtischer Finanzverwalter, sagte: «Wenn die Neubauten durch Meyer Burger realisiert werden, wird die Steuererleichterung sicher mehr als kompensiert.»
150 STATT 600 ARBEITSPLÄTZE
Wegmüller sollte sich täuschen: Im August 2012 wurde zwar das Hauptgebäude an der Schorenstrasse fertiggestellt und der Konzernsitz von Baar ZG nach Thun verlegt. 480 Angestellte arbeiteten nun unter einem Dach. Das «Kompetenzzentrum Forschung und Entwicklung» allerdings wurde nie gebaut.
Jetzt, wo Meyer Burger die Produktion nach China verlagert, schrumpft auch der bestehende Firmensitz um die Hälfte. Von den ursprünglich erhofften 600 Arbeitsplätzen bleiben voraussichtlich nur noch 150.
Das geplante Kompetenzzentrum hat Meyer Burger nie gebaut.
Von den Vorteilen, die sich der Kanton durch den Steuernachlass für Meyer Burger erhofft hatte, ist wenig geblieben. Ausser offene Fragen. So ist unklar, an welche Bedingungen der Kanton den Steuernachlass geknüpft hatte. Adrian Studer, Chef des kantonalen Wirtschaftsamts Beco, zu work: «Zum Einzelfall kann ich nichts sagen.» Ebenfalls offen ist vorderhand die Frage, wie viel Steuern dem Staat entgangen sind. Peter Wagner, Ex-Verwaltungsratspräsident von Meyer Burger, gab 2012 zumindest zu, dass der Betrag «cashmässig interessant» sei.
Ex-Finanzverwalter Wegmüller veranschlagte 2010 die Einbussen für die Stadt mit mehreren Hunderttausend Franken pro Jahr. Genauere Zahlen gibt es zurzeit nicht. «Steuergeheimnis», sagen die Behörden.
KLARE FRAGEN
In Thun will es die SP jetzt genau wissen und hat eine Interpellation eingereicht. Die klaren Fragen: Wie viel Geld ist der Stadt entgangen? Und: Hat der Kanton von Meyer Burger konkrete Gegenleistungen verlangt?
Steuereinbussen für Thun pro Jahr: mehrere 100 000 Franken.
Unterdessen hat das kantonale Wirtschaftsamt auf Drängen der Unia die «Informationsplattform Meyer Burger» einberufen. Sie soll den Austausch zwischen allen Beteiligten und Betroffenen sicherstellen. Mit am Tisch sitzt Manuel Wyss, Branchenleiter MEM-Industrie der Unia. Er sagt: «Unser Ziel ist es, möglichst viele Arbeitsplätze zu retten.»
UNGEWISSE ZUKUNFT
Darüber, was derzeit am Konzernsitz vor sich geht, dringt wenig nach draussen. Öffentlich reden möchten die Angestellten nicht. Hilmi Gashi, Co-Leiter der Unia Berner Oberland, begleitet die Belegschaft bei Meyer Burger eng und weiss: «Die Angst ist gross.» Schliesslich wurde noch niemand offiziell entlassen.
Bis zum 28. November haben die Mitarbeitenden Zeit, der Konzernleitung einen Vorschlag zu unterbreiten, wie zumindest ein Teil der Stellen erhalten werden könnte. Erst danach darf das Unternehmen die Kündigungen definitiv besiegeln.
Thuner Stadtpräsident Raphael Lanz: «Ich darf nicht mehr sagen»
Als Meyer Burger 2012 nach Thun zog, war die Freude gross. Jetzt folgt das böse Erwachen. Stadtpräsident und SVP-Politiker Raphael Lanz nimmt Stellung.
Raphael Lanz, Stadtpräsident von Thun: «Es gibt kein formelles Versprechen, dass sie bleiben».
work: Raphael Lanz, in den vergangenen zehn Jahren hat Meyer Burger nur die Hälfte der üblichen Steuern bezahlen müssen. Nun ist klar: Die Firma verlagert die Produktion nach China. Das muss Sie als Thuner Stapi doch stören?
Raphael Lanz: Meyer Burger hat während der guten Jahre beträchtliche Gewinne gemacht und versteuert. Zudem wurden Arbeitsplätze geschaffen, und diese Arbeitnehmenden haben auch wieder Steuern bezahlt. Insgesamt halte ich deshalb die Regelung, die getroffen wurde, für volkswirtschaftlich richtig.
Waren die Steuerrabatte an Bedingungen geknüpft?
Darüber darf ich wegen des gesetzlich geregelten Steuergeheimnisses keine Auskunft geben. Über die Anwendung von wirtschaftsfördernden Massnahmen entscheidet der Kanton. Es ist bekannt, dass ein Abkommen bestanden hat – mehr darf ich und kann ich nicht sagen.
Wie viel Steuereinnahmen sind der Stadt Thun entgangen?
Meyer Burger hat den Sitz nach Thun verlegt. Die Stadt Thun hat daher in jedem Fall profitiert. Eine denkbare Alternative war seinerzeit zudem der Wegzug des Unternehmens aus der Region, mit den entsprechenden Steuerausfällen.
Haben Sie von Meyer Burger denn eine Zusage, dass der Hauptsitz in Thun bleibt?
Der Sitz von Meyer Burger bleibt gemäss dem aktuellen Entscheid in Thun. Weder wir noch das Unternehmen wissen allerdings, wie sich der Markt in den nächsten Jahren entwickelt. Deshalb wird Meyer Burger kein langfristiges formelles Versprechen abgeben können, dass sie bleiben.