In Belgien hat die Politik die Pflegenden und ihre Gewerkschaften gehört. Der Staat macht Milliarden locker, um ihre Arbeitszeiten zu kürzen.
NATHALIE LIONNET: «Mehr Freizeit für Pflegende – davon profitieren alle.»
Mehr Zeit zur Erholung: Davon können in der Schweiz viele Pflegende nur träumen. Belgien ist da ein paar Schritte weiter. Dank engagiertem Gesundheitspersonal – und einem Staat, der erkannt hat, dass er diesem Personal Sorge tragen muss.
So sinkt in immer mehr Bereichen des Gesundheitswesens die Arbeitsbelastung für ältere Mitarbeitende. Im französischsprachigen Wallonien etwa müssen die gut 6000 Spitex-Mitarbeitenden ab dem 58. Geburtstag nur noch 32 Stunden pro Woche arbeiten. Alle, die in Heimen und Hilfsangeboten für Behinderte, Jugendliche oder Kinder arbeiten, profitieren sogar schon ab 55 Jahren von einer 36-Stunden-Woche. Immer zum vollen Lohn, versteht sich. So ist es seit letztem Jahr in den betreffenden Gesamtarbeitsverträgen (GAV) festgelegt.
MEHR GELD. Pflegende in Belgien kämpfen schon seit Jahren für bessere Bedingungen. Ähnlich wie in der Schweiz verschärfte die Corona-Pandemie den Pflegenotstand drastisch – und gab den Protesten den Schub der Verzweiflung: Im Herbst 2020 gingen in Brüssel trotz Corona-Einschränkungen rund 4000 Pflegende auf die Strasse.
Doch anders als hierzulande erkannte die belgische Politik den Ernst der Lage und machte rasch Nägel mit Köpfen. Noch im gleichen Jahr erhöhten Bundesregierung und Regionen ihre Budgets für die Pflege um insgesamt 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Das Ziel: den Sektor aufzuwerten und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Für Nathalie Lionnet von der belgischen Gewerkschaft Setca ein «historischer» Entscheid. Und eine Chance für die Gewerkschaften, wie sie an der Unia-Pflegekonferenz (siehe Text oben) sagte. Denn in Belgien verhandeln die Sozialpartner, wie das Budget für die Pflege in die Praxis umgesetzt wird. Das Resultat sind GAV, die dann für alle gelten.
Belgien erhöhte das Budget für die Pflege um 1.5 Milliarden Euro pro Jahr.
WENIGER STUNDEN. In einer Umfrage brachten die Setca-Mitglieder klar zum Ausdruck: In erster Linie möchten sie die wöchentliche Arbeitszeit senken. Derzeit liegt diese bei 36 bis 40 Stunden. Im Lauf der Verhandlungen hätten auch die Arbeitgeber dem zugestimmt, sagt Lionnet: «Sie wissen, dass Pflege eine strenge Arbeit ist. Und dass Menschen, die mehr Freizeit haben, weniger Gefahr laufen, auszubrennen oder aus dem Beruf auszusteigen. Und davon profitieren alle.»
UND JETZT… Sosehr sie sich über die Fortschritte freut – Lionnet hat bereits das nächste Ziel vor Augen: die 32-Stunden-Woche für alle in der Pflege. Denn: «Entlastung braucht es nicht erst, wenn Pflegende nach Jahren im Beruf erschöpft sind. Sondern schon von Anfang an!»