Zalando: Auspackerinnen haben ausgepackt
«Von 3500 Franken netto kann niemand leben»

Der Lohn ist miserabel. Und wird noch weiter gekürzt, wenn jemand zu lange krank ist. Mit einer Protestpause machten die Zalando-Auspackerinnen klar: Sie haben genug.

«Mehr Respekt»: Ceva-Arbeiterinnen packen in Neuendorf SO aus Protest eine Stunde lang keine Zalando-Retouren aus. (Foto: Manu Friederich)

Statt T-Shirts und Schuhen gibt es heute Kaffee und Gipfeli, statt Paketen Protest: In der Halle des Logistikkonzerns Ceva in Neuendorf SO wird am frühen Morgen des 14. September keine einzige Zalando-Rücksendung bearbeitet. Ein paar Tage zuvor haben sich die Mitarbeitenden – 96 Prozent davon sind Frauen – für diese Protestpause entschieden. Um zu unterstreichen, was sie der Firma in den letzten vier Monaten mehrmals mitgeteilt haben: Wir wollen mit euch über bessere Löhne verhandeln.

Also geht zu Schichtbeginn um 6 Uhr praktisch die gesamte Frühschicht nicht wie sonst in die Halle. Die rund 170 Frauen und Männer setzen sich stattdessen an lange Tische. Erst nach einem rund einstündigen Protest nehmen sie die Arbeit auf. Die Botschaft an die Ceva-Chefs ist klar: Unser Platz ist nicht nur in der Halle, sondern auch am Verhandlungstisch. Bis zu 450 Personen arbeiten in der Halle im Zweischichtbetrieb. Sie öffnen die Zalando-Pakete, die von der Kundschaft zurückgeschickt werden. Sie erfassen, reinigen und sortieren Kleider und Schuhe. Doch angestellt sind sie nicht von Zalando, sondern vom globalen Logistik­unternehmen Ceva – zu miserablen Löhnen von nicht einmal 3500 Franken brutto, ohne 13. Monatslohn. Die Ceva unterbietet damit die branchenüblichen Löhne um 22 Prozent und mehr.

Die Ceva-Arbeiterin Veronica Pereira* sagt: «Netto ist der Lohn etwa 3000 Franken. Davon kann eigentlich niemand leben.» Wenn die Rechnungen für Miete, Krankenkasse und so weiter bezahlt sind, bleibt nicht mehr viel übrig. Neue Kleider kauft sie nur selten, Fleisch ist ein Luxus. «Und Fisch! Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal Fisch hatte. Ich glaube, bevor ich in die Schweiz gekommen bin.» Das ist jetzt drei Jahre her.

WEHE, WENN MAL KRANK

Einmal, so berichtet Pereira, habe der Lohn sogar nur 1700 Franken betragen. Weil sie innerhalb des ersten Anstellungsjahres zweimal krank war. Denn so geht das bei der Ceva: Bei zu langer Krankheit wird der Lohn gekürzt. Im ersten Jahr gibt’s bereits nach 15 Krankheitstagen gar nichts mehr. Pereira sagt: «Alle hoffen, dass sie nicht krank werden.» Und wenn doch? Sie zuckt die Schultern. «Dann wird’s extrem schwierig.» Die Praxis der Ceva ist legal, aber sehr ungewöhnlich: Die meisten Betriebe haben eine Krankentaggeldversicherung. Die zahlt in der Regel 80 Prozent des Lohnes. Zwei Jahre lang. Die Ceva spart sich die Versicherungsprämien. Unia-Mann Künzler: «Mir ist kein vergleichbarer Betrieb bekannt, der keine Taggeldversicherung hat.»

DER BIG BOSS SCHWEIGT UND KASSIERT

Auf Anfrage von work schreibt Zalando, man lasse «Partner» regelmässig durch externe Fachleute überprüfen. Bei der Ceva habe die Überprüfung Ende 2022 «keine Resultate in direktem Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen oder der Bezahlung» ergeben. Pikant: Als einen der überprüften Punkte nennt Zalando «das Recht auf Tarifverhandlungen» – genau das also, was die Ceva-Führung derzeit ablehnt.

Die Ceva wollte dazu gegenüber work nicht Stellung nehmen. Der Unia antworteten die Ceva-Chefs, sie missbilligten die Protestaktion und lehnten Verhandlungen weiterhin ab. Der Betrieb gehört zur französischen Reederei CMA CGM. Ihr Chef und – zusammen mit zwei Geschwistern – Mehrheitsbesitzer ist Rodolphe Saadé (Vermögen: 39 Milliarden Euro). Auch er hat auf eine Anfrage von work nicht reagiert.

Diesen Frühling hat Saadé gezeigt, dass er durchaus willens ist, Probleme mit Geld zu lösen. Weil die Firma massiv von den hohen Frachtpreisen während und nach der Corona-Pandemie profitierte, bezeichnete die Wirtschaftszeitung «La Tribune» CMA CGM als «König der Übergewinne» – was bei Patron Saadé vermutlich nicht eitel Freude auslöste. Tatsache ist: Gut zwei Monate später kaufte die Reederei die Zeitung auf.

Auch ein Weg, mit Kritik umzugehen.

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