Die Schweiz hat gewählt. Es hätte besser kommen können. Aber auch viel schlechter. Auf die Gewerkschaften kommen vier weitere anstrengende politische Jahre zu.
WIE WEITER UNTER DER BUNDESHAUSKUPPEL? Den Gewerkschaften bleibt nichts anders übrig, als mit Referenden zu kämpfen. (Foto: Parlamentsdienste / Rob Lewis)
Die Anteile der Wählerinnen und Wähler sind bekannt, die genaue Grösse der Fraktionen in der Bundesversammlung noch nicht, weil beim Ständerat noch zweite Wahlgänge ausstehen. Im Nationalrat ist es so: Die SVP gewinnt 9 der 12 Sitze zurück, die sie 2019 verloren hat. Die Grünen verlieren 5 der 17 Sitze, die sie vor vier Jahren gewonnen haben. Die FDP verliert einen zusätzlichen Sitz zu den 4, die sie bereits 2019 verloren hat. Die Mitte kommt auf einen Sitz mehr als CVP und BDP vor vier Jahren, als sie zusammen 7 Sitze verloren. Die SP gewinnt mit 2 Sitzen die Hälfte der Verluste von 2019 zurück. Und die GLP verliert 5 der 9 Sitze wieder, die sie vor vier Jahren zusätzlich holte. Kurz: ein Rechtsrütschli.
Auch das neue Parlament wird den Schutz der Arbeitnehmenden und Mietenden aufweichen.
WEIT ENTFERNT VON 2015
Denn auch wenn der rechte Block im Vergleich zu den Wahlen von 2019 leicht gestärkt ist, ist er doch weit von der hart-rechten absoluten Mehrheit von SVP und FDP der vier Jahre nach den Wahlen 2015 entfernt. Und aus gewerkschaftlicher Sicht gibt es neben der schmerzhaften Nichtwiederwahl der Berner Gewerkschaftsfrau Natalie Imboden (Grüne) auch Gründe zur Freude. So zum Beispiel die Wahl von Martine Docurt, Leiterin der Unia-Politikabteilung, im Kanton Neuenburg in den Nationalrat. Oder die wuchtige Wahl von SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard in den Ständerat.
Doch klar ist ebenso: auch das neue Parlament wird die Renten senken wollen und die Witwenrenten streichen. Es wird den Arbeitnehmerschutz aufweichen und den Mieterinnenschutz zusammenstreichen. Und die neu zusammengesetzte rechte Mehrheit wird weiterhin versuchen, den oberen Zehntausend Steuergeschenke zu machen und die Prämienverbilligungen niedrig zu halten.
UNBERECHENBARE MITTE
Was das Wahlresultat sozialpolitisch heisst, wird sich weisen. Möglicherweise sind mit Teilen der leicht erstarkten Mitte eher Fortschritte auszuhandeln als mit den jetzt geschwächten marktradikalen der GLP. Wobei das Spektrum innerhalb der Mittefraktion breit ist. Einige haben die christliche Soziallehre nicht vergessen, andere aber – wie die neugewählte Nicole Barandun – gehören zur Speerspitze der Zürcher Hungerlohn-Koalition.
URNE BLEIBT ZENTRAL
Wie in den vergangenen Jahren wird den Gewerkschaften nichts anderes übrigbleiben, als zusammen mit den fortschrittlichen Parteien die schlimmsten Auswüchse des Sozialabbaus und der Umverteilung von unten nach oben mit Referenden zu bekämpfen. Und auch, reale Verbesserungen bei den drängendsten Problemen der Mehrheit in diesem Land anzustossen. Bereits im nächsten Frühling steht die Initiative für eine 13. AHV-Rente auf der Agenda, die Prämienverbilligungs-Initiative, die BVG-Abbauvorlage und der Angriff auf die Rechte der Mieterinnen und Mieter.
Prämien-Initiative: Bundesrat trickst
Die explodierenden Krankenkassenprämien lassen die Mehrheit in diesem Land leiden. Die Prämieninitiative der Gewerkschaften und der SP will die Last lindern. Und sie ist abstimmungsreif. Mit guten Chancen. Das sieht offenbar auch die rechtsbürgerliche Mehrheit im Bundesrat so – und griff tief in die Trickkiste. Statt die Initiative im März zur Abstimmung zu bringen – wovon sogar die Bundeskanzlei ausging und das Abstimmungsbüchlein schon fast fertig hatte –, wurde sie auf den Sommertermin geschoben. Doch trotz dem bundesrätlichen Trick bringt der Abstimmungssonntag im März eine zentrale sozialpolitische Weichenstellung.
Kein Reichenvorteil: Es geht um nichts weniger als darum, ob die AHV-Renten endlich steigen (wie die Gewerkschaften wollen) oder ob nur noch Reiche nicht chrampfen müssen bis ins Grab (was die Jungfreisinnigen wollen).