Mindestlöhne in der Temporärbranche werden neu jährlich an die Teuerung angepasst. In den nächsten drei Jahren steigen sie sogar noch stärker an.
ERFOLGREICH: Viele Temporärbeschäftigte haben ab Januar höhere Löhne. (Symbolbild: Keystone)
Er ist der grösste Gesamtarbeitsvertrag der Schweiz: 400 000 Temporärarbeitende profitieren jedes Jahr vom GAV Personalverleih und den darin festgelegten Mindestlöhnen. Jetzt wird er für vier Jahre erneuert. Und die Sozialpartner, darunter die Unia, haben gleich mehrere Pflöcke eingeschlagen, die auch für andere Branchen von Bedeutung sind.
Bereits ab Januar werden das viele Temporäre im Portemonnaie spüren. Denn die Mindestlöhne steigen deutlich an: um 3,2 Prozent. Und damit mehr als die Teuerung (laut Prognose 2,2 Prozent dieses Jahr). Dazu kommen nochmals 0,3 Prozent Nettolohnerhöhung, weil der Berufsbeitrag für GAV-Kontrollen und die Finanzierung von Weiterbildungen sinkt. Unia-Vizepräsidentin Véronique Polito ist zufrieden. Die Arbeitgeberseite habe anerkannt, dass die Mindestlöhne in den letzten zwei Jahren hinter der Teuerung zurückgeblieben seien: «Das holen wir jetzt nach.»
Endlich wieder ein GAV mit dem automatischen Teuerungsausgleich.
Bis dahin war es ein hartes Ringen. Erst in der zehnten Verhandlungsrunde und nach einem 13stündigen Marathon lag das Resultat auf dem Tisch. Es war die letzte Chance. In den Tagen zuvor hatte die Unia schon die Vorkehrungen für einen vertragslosen Zustand getroffen. Denn für Polito ist klar: lieber keinen Vertrag als einen schlechten.
Jetzt bleibt der Vertrag, und er ist besser als je zuvor. Zwischen 115 und 151 Franken pro Monat steigen die Mindestlöhne im nächsten Jahr, je nach Kategorie und Region. Und danach geht es im gleichen Stil weiter: In den Jahren 2025 und 2026 gibt es jeweils eine Erhöhung der Mindestlöhne um 35 bis 47 Franken pro Monat, plus den vollen Teuerungsausgleich.
TEUERUNGSAUGLEICH IST ZURÜCK
Wie hoch die Teuerung dann sein wird, weiss heute niemand. Véronique Polito sagt: «Wir wollten auf keinen Fall jetzt Lohnerhöhungen vereinbaren, die dann von einer hohen Teuerung weggefressen werden.» Deshalb kehren die Sozialpartner mit dem Temporär-GAV zu einer alten Tugend zurück: dem automatischen Teuerungsausgleich. Verhandelt wird nur noch über reale Lohnerhöhungen, also solche, die über die Teuerung hinausgehen.
Ab den 1970er Jahren konnte sich dieses Modell in immer mehr GAV durchsetzen. Doch zu Beginn der 1990er Jahre, im Zuge des Neoliberalismus, setzten die Arbeitgeber zum Kahlschlag an: 1996 gab es genau noch einen GAV mit einem vollen automatischen Teuerungsausgleich. Heute sind es immerhin wieder neun, darunter der Vertrag der MEM-Branche und die Firmen-GAV von Cilag, Elvetino und Stadler Rail.
GESETZLICHE MINDESTLÖHNE GESTÄRKT
Der neue Temporär-GAV enthält noch eine weitere wichtige Bestimmung: Dort, wo gesetzliche Mindestlöhne höher sind als die GAV-Löhne, haben sie Vorrang. Nächstes Jahr profitieren somit Temporäre ohne Lehrabschluss in den Kantonen Genf und Tessin vom kantonalen Mindestlohn. Für alle mit Lehrabschluss gilt dagegen, weil höher, der GAV-Mindestlohn. Mit dieser Regelung stärken die Sozialpartner die Idee einer generellen Lohnuntergrenze, die sich in immer mehr Kantonen und Gemeinden an der Urne durchsetzt, zuletzt in Zürich und Winterthur. Das ist wichtig, weil eine Hungerlohn-Koalition aus SVP, FDP, GLP und der Mitte diese Volksentscheide über Bundesrecht aushebeln will. Sie überwies eine Motion des Mitte-Ständerats Erich Ettlin. Als nächstes muss der Bundesrat dem Parlament eine Gesetzesänderung vorlegen.