Die Klimabewegung ist bei vielen Chauffeusen und Chauffeuren nicht gerade beliebt – Stichwort Klimakleber. Trotzdem engagieren sie sich jetzt für den Klimaschutz.
VEREINT: In Berlin geht die Gewerkschaft gemeinsam mit der Fridays-for-Future-Bewegung auf die Strasse. (Foto: ZVG)
Am Rande einer Plattenbausiedlung, ganz im Osten Berlins, liegt der Betriebshof Marzahn. Schon früh sind Debby und Rika an diesem grauen Novembermorgen auf den Beinen. Die beiden, 22 und 26, sind Klimaaktivistinnen. Heute steht hier ein Treffen mit den Verdi-Vertrauensleuten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) an. An einem Tisch sitzen rund 20 Beschäftigte, es riecht nach Filterkaffee, draussen fahren Trams vorbei. «Wir werden beide von der Politik ignoriert», sagt Debby. «In einer breiten Bewegung können wir viel mehr ausrichten.»
Debby und Rika engagieren sich bei «Wir fahren zusammen», einer Kampagne der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und von Fridays for Future. Beim Klimastreik Anfang März traten sie erstmals gemeinsam in die Öffentlichkeit. Regelmässig gibt es Treffen mit den Vertrauensleuten, die als Scharnier zwischen Betrieb und Gewerkschaft dienen.
RAUS AUS DER BLASE
Klimabewegung und Gewerkschaften wirkten lange Zeit wie zwei gegensätzliche Pole. Doch es tut sich etwas, auch weil die Klimabewegung in einer Krise steckt. Appelle verhallen, und die öffentliche Meinung wendet sich vielerorts gegen sie. Während einige Teile radikale Wege gehen – Stichwort Klimakleber –, probieren andere Aktivistinnen und Aktivisten neue Wege. Ihre Devise: Raus aus der Blase, hin zu gewerkschaftlichen Kämpfen. Unter dem Schlagwort «labour turn» versuchen sie, Klimapolitik und Arbeitskämpfe miteinander zu verbinden.
NAHVERKEHR FÜRS KLIMA
Dass das nicht immer einfach ist, wird auch bei dem Treffen in Marzahn deutlich. «Die Klimabewegung erfreut sich bei vielen Kollegen nicht gerade grosser Beliebtheit», sagt ein Mann im knallroten Polo-Shirt. Wenn Aktivistinnen und Aktivisten Strassen blockieren, mag das Aufmerksamkeit auf die Klimakrise lenken, den politischen Druck erhöhen. Doch für die Fahrerinnen und Fahrer bedeutet es vor allem eins: zusätzlichen Stress. «Wir können in den nächsten Wochen beweisen, dass Klimapolitik im Interesse der Beschäftigten möglich ist», sagt Rika. In den letzten Wochen stellten sie zusammen mit den Vertrauensleuten ihre Kampagne im Betrieb vor, hörten sich die Forderungen der Beschäftigten an, sammelten Unterschriften. Die Resonanz sei positiv gewesen. Dass die jungen Klimaaktivistinnen und -aktivisten in aller Frühe vor den Betriebshöfen standen, habe vielen imponiert.
Dem öffentlichen Nahverkehr kommt eine Schlüsselrolle in der Klimawende zu. Doch es wird viel zu wenig investiert, die Belastungen für Fahrerinnen und Fahrer sind gross. «Den Menschen muss klar werden, dass im Fahrerhaus keine Maschinen sitzen», wirft eine blondgefärbte Frau mit starkem Berliner Akzent ein. Auf dem Treffen gibt es zustimmendes Nicken für diese Aussage. Die Mitarbeitenden sind sich sicher: Einen guten öffentlichen Verkehr wird es nur geben, wenn sich endlich die Arbeitsbedingungen ändern. Im Frühjahr 2024 werden Beschäftigte im kommunalen Nahverkehr über ihre Arbeitsbedingungen verhandeln – und gegebenenfalls streiken. «Wir fahren zusammen» will ihnen mit einer Bewegung zur Seite stehen. In mehr als 40 deutschen Städten gibt es Ortsgruppen, darüber hinaus eine bundesweite Vernetzung.
JOHNNY, DER TRAMFAHRER
Dass das Thema auf die Agenda rückt, ist auch Menschen wie Johnny Kiele zu verdanken. Ende Oktober sitzt der hochgewachsene 32jährige im Café Planwirtschaft der Technischen Universität Berlin. Es findet eine Diskussion über «Klimastreik und Arbeitskampf» statt. Rund 30 Studierende fläzen sich auf Couches, an der Wand hängt eine Regenbogenfahne, daneben ein Transparent der Kampagne. «Ohne uns fährt nichts», steht darauf.
«Hallo, ich bin Johnny, und ich bin Tramfahrer», sagt er. «Ich bin erstaunt, dass schon so viele von euch wach sind.» Gelächter. Dann erzählt er aus seinem Arbeitsalltag. Die Belastung sei hoch, oft müsse man sich gar entscheiden: «Pinkeln oder rauchen.» Dabei habe er es noch vergleichsweise gut: Er hat einen kurzen Arbeitsweg, zahlt eine faire Miete und arbeitet Teilzeit, an vier Tagen in der Woche. Viele Kolleginnen und Kollegen müssten aber sechs Tage am Stück fahren, hätten kaum noch ein Sozialleben. Gerade für junge Menschen sei der Job zunehmend unattraktiv. Ein Problem, denn: Viele Beschäftigte aus der Boomer-Generation gehen bald in Rente, und schon jetzt fehlen deutschlandweit rund 80 000 Fahrerinnen und Fahrer.
«Es gibt viele schlaue Ideen: sauberer Diesel, Pop-up-Radwege und so weiter», sagt Kiele, «aber niemand hat den Nahverkehr auf dem Schirm.» Es brauche Aufmerksamkeit der Politik und ein schlüssiges Gesamtkonzept. Denn von einem verbesserten Nahverkehr profitierten alle: die Fahrerinnen und Fahrer, die Passagiere, das Klima.
Das 1,5-Grad-Ziel (siehe Text unten) hält er für nicht realistisch. Aber gerade unter veränderten Klimabedingungen sei eine lebenswerte Infrastruktur umso wichtiger. Kiele sagt Sätze, die auch aus dem Mund von Greta Thunberg kommen könnten. Die «Wir fahren zusammen»-Kampagne lernte er bei einer Vertrauensleute-Versammlung kennen, mittlerweile steckt der Gewerkschafter viele Stunden in politische Arbeit.
Ein Student fragt nach: Die Klimabewegung sei sehr akademisch, mache das die Arbeit der Kampagne nicht schwer? Kiele schüttelt den Kopf. «Ich habe zweimal eine Uni von innen gesehen, und trotzdem sitze ich jetzt hier.» Und dann sagt er: «Man sollte die Leute nicht unterschätzen, nur weil sie keine Akademiker sind.»