Es war der Kernpunkt von Donald Trumps Antrittsrede als Präsident: «Vom heutigen Tag an wird eine neue Vision unser Land regieren: America first!» Diesen roten Faden hat er eingehalten. Zuerst kommen die Starken, und die will er noch stärker machen: Die US-Banken sollen entlastet werden und die US-Armee noch mehr Geld bekommen. Zuletzt kommen die Schwachen. Die Sanspapiers weist Trump tausendfach aus, die Entwicklungshilfe streicht er zusammen. Und die Mexikaner will er für die Grenzmauer selbst bezahlen lassen.
LE PEN UND LEGA. In Europa politisieren viele schon lange auf Trumps Linie: «La France d’abord», Frankreich zuerst, das ist ein alter Schlachtruf des Front national. Dieser witzelte nach der Antrittsrede Trumps, der US-Präsident habe Marine Le Pen das Programm geklaut. Sie will alles Französische stärken. Das Ausland und die EU schwächen. Und vor allem die Schwächsten im Land, die Eingewanderten. «British first» heisst der Schlachtruf der Rechtsextremen in Grossbritannien. In der Logik «Grossbritannien vor EU» haben die Konservativen den Brexit erreicht und politisiert heute Ministerpräsidentin Theresa May.
Es können nicht alle die Ersten sein.
Die eigene Nation hat auch für die Regierungen in Polen und Ungarn absoluten Vorrang. «Ungarn zuerst» richtet sich gegen die EU, gegen die Roma, gegen die Flüchtlinge und gegen die Nichtregierungsorganisationen. Und selbstverständlich kennen wir diesen rechten Nationalismus auch in der Schweiz: von SVP und Lega. Im Tessin machen beide Druck mit dem Slogan «Prima i nostri» (zuerst die Unseren).
DER 1. MAI. «Wir zuerst», das sagen aber nicht nur die Nationalisten. Die Neoliberalen verfolgen mit ihrer Standortkonkurrenz das gleiche Prinzip. Jedes Land, jeder Kanton soll bei den Ersten sein und ständig die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Konkurrenten erhöhen. Mit tieferen Steuern. Mit günstigeren Löhnen. «Alle gegen alle», heisst auch das Spiel der Neoliberalen.
Das Prinzip der Gewerkschaften ist ein grundlegend anderes: kooperieren, zusammenarbeiten. Es können nicht alle die Ersten sein. Nicht mal die Zweiten oder Dritten. Am 1. Mai heisst es deshalb wieder weltweit: «Zusammen sind wir stärker!»
Andreas Rieger ist Unia-Sekretär und vertritt den SGB im Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB).