Die Schweizer Wirtschaft wurde durch die Finanzkrise und die Frankenüberbewertung stärker getroffen, als viele wahrhaben wollen. Die acht Jahre Finanzkrise zwischen 2008 und 2016 sind wirtschaftlich betrachtet die längste Stagnationsphase seit Messbeginn im Jahr 1950. Das zeigt die Entwicklung des Bruttoinlandprodukts pro Einwohnerin und Einwohner, das Pro-Kopf-Bruttoinlandprodukt.
SCHWEIZ HÄNGT. Das BIP beziffert die Wertschöpfung aller im Land hergestellten Güter und erbrachten Dienstleistungen. Das Pro-Kopf-BIP ist in diesen Jahren kumuliert um nur rund 0,5 Prozent gestiegen. Auch im Jahr 2016 stand einem Bevölkerungswachstum von 1,1 Prozent nur ein bescheidenes BIP-Wachstum von 1,3 Prozent gegenüber. Dass es auch anders geht, zeigt die Wirtschaftsentwicklung in Ländern, die nicht von einer überbewerteten Währung gebremst wurden. Am besten ist ein Vergleich mit Deutschland. Denn die deutsche Wirtschaft hat eine ähnliche Struktur wie die schweizerische. In normalen Zeiten ohne Frankenüberbewertung wächst das Pro-Kopf-BIP der Schweiz und Deutschlands weitgehend im Gleichschritt. Doch seit 2010, dem Anfang der Frankenüberbewertung, hat sich eine markante Schere geöffnet. Während das Schweizer BIP pro Kopf bis 2016 nahezu stagniert hat, ist die deutsche Wirtschaft – ebenfalls pro Kopf – um 5 Prozent gewachsen. Das stärkere gesamtwirtschaftliche Einkommenswachstum in Deutschland schlägt sich mittlerweile auch in den Reallöhnen nieder. Die deutschen Reallöhne sind seit 2014 jährlich um rund 1 Prozentpunkt stärker gestiegen als die schweizerischen.
30 MILLIARDEN IM JAHR. Damit soll die wirtschaftliche Lage Deutschlands nicht schöngeredet werden. Das Land hat nach wie vor viel mehr prekäre Jobs. Die Lohnschere – insbesondere der Rückstand der tiefen Einkommen – ist ausgeprägter als in der Schweiz. Doch der Vergleich zeigt, wie sich die Schweizer Wirtschaft ohne die Frankenüberbewertung hätte entwickeln können. Die Frankenüberbewertung hat für die Schweiz einen hohen realwirtschaftlichen Preis. Diesen kann man grob schätzen – aus der Wachstumsdifferenz zwischen der Schweiz und Deutschland. Ohne Frankenüberbewertung wäre das Schweizer BIP so geschätzt rund 30 Milliarden Franken pro Jahr höher. Das macht rund 3500 Franken pro Kopf und Jahr.
Daniel Lampart ist Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB).