Stur wie eine Eselin
Die Wahrheit ist ja bekanntlich ein stark umworbenes, kostbares Gut. Und sieht je nach Blickwinkel sehr unterschiedlich aus.
«Es lebe hoch, es lebe hoch, der Zimmermannsgeselle». Dieses Lied war Ende des 18. Jahrhunderts ein Hit. Lehrer Joachim August Zarnack (1777–1827) schrieb es um zu einem Liebeskummerlied: «O Mägdelein, o Mägdelein, wie falsch ist dein Gemüte». Er stellt die untreue Geliebte in Kontrast zum Tannenbaum, der mit seinen immergrünen Nadeln als Symbol der Treue gilt. Ein paar Jahre später wurde das Stück zum Weihnachtslied.
Der Refrain blieb unverändert: «O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie treu sind deine Blätter». Erst viele Jahre später setzte sich die Variante mit den grünen Blättern durch. Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte die erstarkende Arbeiterbewegung die Melodie für sich. «The Red Flag» wird bis heute oft an Parteitagen der britischen Labour Party gesungen. Über die Geschichte dieses Weihnachtsklassikers schreibt work-Ratgeber-Autorin Maria Künzli.
REFRAIN. Lieder verändern sich, gehen mit der Zeit. Eingängige Melodien, mitreissende Rhythmen, Lyrics zum Mitsingen! Ohne Musik wäre die Welt ein Irrtum, klar. Vor ein paar Jahren war «Eres mía» (Du gehörst mir) von Romeo Santos, US-Sänger mit puerto-ricanischen Wurzeln, ein Hit. Alle sangen mit. Der Refrain: «No te asom-
bres / Si una noche / Entro a tu cuarto y nuevamente te hago mía» – Sei nicht erstaunt, wenn ich eines Nachts in dein Zimmer einsteige und dich wieder zu meiner Frau mache. Eine angekündigte Vergewaltigung.
TON. Doch Songtexte dieser Art gibt es nicht nur im Latino-Machismo. In den gut schweizerischen Skihütten werden ähnliche Zeilen gedankenlos mitgegrölt, in Pop-Songs bringen sie die Kassen zum Klingen und im deutschen Rap sind sie allgegenwärtig (zum Beispiel hier, nichts für schwache Nerven). Provokation ist ein Stilmittel der Kunst, sicher. Die Schweizer Rapperin Big Zis lässt aber in einem Interview im «Beobachter» das Argument der künstlerischen Freiheit nicht gelten. Wirklich intelligente, angriffige und kreative Lines zu schreiben, ohne auf Stereotype zurückzugreifen, sei anspruchsvoll. «Dafür sind diese Typen doch einfach zu faul.»
TAKT. Musik ist eine Zeitzeugin, der Soundtrack unserer Gesellschaft. In der es notwendig ist, dass Bau-Büezerinnen noch immer so elementare Dinge fordern müssen wie: «Pfeif mir nicht hinterher, du Pfeife». In der Frauen und Männer noch immer nicht gleich viel verdienen und bürgerliche Medien die Schuld daran den Frauen in die Schuhe schieben. In der die Arbeitswelt Mütter bestraft, weil sie sich noch immer wie selbstverständlich um Küche und Kinder zu kümmern haben. Und in der Frauen noch immer um ihr Leben fürchten müssen, nur weil sie Frauen sind.
Doch zum Glück geben auch andere Lieder Ton und Takt an: «Respect» von Aretha Franklin, «Run the World» von Beyoncé, «Kämpf wiä äs Meitschi» von Lisa Bader. Oder eben der alte Weihnachtsklassiker: «O Tannenbaum».
Wir verabschieden uns in die Winterpause. Und auch von der letzten 21. work-Ausgabe. Denn im nächsten Jahr werden wir noch 15 Mal in Print erscheinen, dafür verstärkt auf unserer Website und auf Social Media – weiterhin links und schön. Wir verabschieden uns auch von unserem Kolumnisten, Baubüezer Marius Käch, und senden ein herzliches Dankeschön nach Hanoi.
Die work-Redaktion wünscht Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, frohe Festtage und es guets Nöis!