Vertuschen, verzögern, verheimlichen: Immer wieder konnte das Altersheim Weingarten in Olten die desolaten Zustände unter den Teppich kehren. Sechs Jahre lang! Auch ein Vertreter der Bürgergemeinde half mit.
AUFGEDECKT: Ein Untersuchungsbericht bestätigt die schlimmen Zustände, die im Oltner Pflegeheim geherrscht haben. (Foto: heimgarten-olten.ch)
Null Respekt für die Pflegenden, zu wenig Essen für die Bewohnerinnen und Bewohner, Matratzen voller Urin: Es waren unerträgliche Zustände, über die work 2017 berichtete. Ex-Mitarbeitende des Alters- und Pflegeheims Weingarten in Olten sahen keinen anderen Ausweg mehr, als ihre Erlebnisse öffentlich zu machen. Denn bei der Bürgergemeinde Olten, der das Heim gehört, hatten sie kein Gehör gefunden.
Bereits im Jahr zuvor hatte das Heim für Negativschlagzeilen gesorgt: wegen willkürlicher Kündigungen, einer autoritären Heimleiterin und der damit verbundenen häufigen Wechsel in der Belegschaft. Jetzt zeigt sich: Es ging volle sechs Jahre, bis der Kanton Solothurn das Grüsel-Heim richtig unter die Lupe nahm – und endlich feststellte, wie schlimm es um das Heim steht.
Weshalb dauerte das so lange? Im Rückblick zeigt sich, wie es den Verantwortlichen immer wieder gelang, die wahren Zustände im Heim unter dem Deckel zu halten. Und wie sich der Kanton mehrmals übertölpeln liess.
ABSTREITEN
In einer ersten Phase, bis etwa 2017, lautet die Devise des Heims: Nein, das stimmt alles nicht. Die Heimleiterin sagt es der Lokalpresse. Gegenüber «work» sagt es der Vertreter der Bürgergemeinde. Er weist damals die Kritik zurück, ohne auf die Missstände einzugehen.
MAUSCHELN
Im September 2017, so scheint es zuerst, wird es für die Verantwortlichen ungemütlich. Aufgeschreckt durch die Medienberichte, ordnet der Kanton eine externe Untersuchung des Heims an. Doch die entpuppt sich als Alibiübung: Das Heim darf selber eine Firma suchen, welche die Analyse durchführt. Und so kommt diese 2018 zum Schluss, die erhobenen Vorwürfe könnten «so nicht nachvollzogen oder bestätigt werden».
VERHEIMLICHEN
Nach aussen tritt jetzt zwei Jahre lang Ruhe ein. Doch das Heim hat noch ein weiteres Problem: Das Haus, Baujahr 1928, muss dringend saniert werden. Die Zimmer sind viel zu klein, bis heute haben manche nicht einmal eine Dusche. Mit einer Verfügung droht der Kanton deshalb 2019 der Heimleitung, dass er die Bewilligung entziehe, wenn nicht innert zwei Jahren ein Plan über die Zukunft des Heims vorliege.
Doch davon erfährt fast niemand. Denn die Vertreter des Kantons rechnen nicht mit der Skrupellosigkeit der Verantwortlichen. Die damalige Heimleiterin und der Präsident der Heimkommission der Bürgergemeinde halten die Sache unter Verschluss. Sie verheimlichen die Verfügung sogar der Bürgergemeinde. Obwohl die als Eigentümerin in der Pflicht steht, den verlangten Plan auszuarbeiten und ein Sanierungsprojekt aufzugleisen.
Nach zwei Jahren fragt der Kanton direkt bei der Bürgergemeinde nach, wo denn der Plan bliebe. Erst jetzt fliegt der Schwindel auf. Doch in der Zwischenzeit ist der Kommissionspräsident zurückgetreten. Und die Heimleiterin wurde freigestellt, weil sie, so die Bürgergemeinde, ihre Kompetenzen überschritten habe, etwa als sie Mitarbeitenden kündigte.
ENDLICH BESSERT ES
So verstreichen sechs Jahre, ohne dass sich im Heim etwas bessert. 2022 bricht die Krätze aus, mehrere Bewohnerinnen und Bewohner sind von der Milbe befallen, die starken Juckreiz auslöst. Gleichzeitig erhält die Presse einen anonymen Brief – offenbar aus der Belegschaft: «Wir sind viel zu wenig Personal» (work berichtete). Endlich lässt sich der Kanton nicht mehr an der Nase herumführen und prüft das Heim eingehend. Das «Oltner Tagblatt» hat nun, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz, den Bericht dieser Prüfung erhalten. Demnach gab es im ganzen Heim «keine Pflegefachperson mit kantonaler Bewilligung». Die Voraussetzungen für eine Betriebsbewilligung seien «nicht erfüllt». Das Heim erhielt ein Jahr Zeit, um die Zustände zu verbessern. Andernfalls drohe das Aus. Darauf entlässt die Bürgergemeinde erneut die Heimleiterin, nach nur drei Jahren.
UND JETZT?
Das (späte) Eingreifen des Kantons scheint nun zu wirken. Gestützt auf Gespräche mit Mitarbeitenden des Heims sagt Daniela Ianni von der Unia Solothurn: «Jetzt haben sich die Arbeitsbedingungen verbessert.» Auch der Kanton, der den Weingarten letztes Jahr erneut geprüft hat, stellt Besserung fest und verlängert die Bewilligung, wenn auch befristet bis 2025. Und schon diesen Sommer gibt’s die nächste Kontrolle.
Die Sanierung des Baus, bereits 2019 vom Kanton angemahnt, hat noch immer nicht begonnen. Erst vor einer Woche präsentierte die Bürgergemeinde das Bauprojekt. Es müsse jetzt aber erst ausgearbeitet werden und dann bewilligt, so der Präsident der Heimkommission in der Lokalzeitung. Auch Einsprachen seien noch möglich. Wann genau die Arbeiten losgehen, wisse er nicht: «Frühestens 2025.»