Gilles Sciboz von der Unia-Rechtsabteilung beantwortet Fragen aus der Arbeitswelt.
Meine Schwester hatte letzte Woche ein Vorstellungsgespräch als Bibliothekarin. Dabei wurde ihr die Frage nach einem allfälligen Kinderwunsch gestellt. Darf der Vorgesetzte eine solche Frage stellen?
VORSTELLUNGSGESPRÄCH: Sie müssen nicht auf alles antworten. (Foto: Adobe Stock)
GILLES SCIBOZ: Nein. Die Firma muss mit geeigneten Fragen an die bewerbende Person herausfinden, ob sie sich für die ausgeschriebene Stelle eigne. Das heisst, dass nur Fragen im direkten Zusammenhang mit der ausgeschriebenen Arbeitsstelle zulässig sind. Fragen, die über diesen Rahmen hinausgehen, verstossen gegen das Obligationenrecht, wonach der Arbeitgeber nur diejenigen Daten über den Arbeitnehmer bearbeiten darf, soweit sie seine Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen. Fragen zur Gesundheit einer Bewerberin oder zu einer möglichen Schwangerschaft sind nur zulässig, wenn die zu erledigenden Aufgaben mit gesundheitlichen Problemen oder einer bestehenden Schwangerschaft unvereinbar sind. So ist es beispielsweise möglich, eine Bewerberin zu fragen, ob sie Rückenprobleme habe, wenn sie schwere Lasten tragen muss. Oder sich nach dem Verlauf einer Schwangerschaft zu erkundigen, wenn es sich um Nachtarbeit, gefährliche oder anstrengende Arbeit handelt.
Fragen nach dem früheren Gehalt, dem Familienstand, Vorstrafen (ausser Vorstrafen im Zusammenhang mit Vermögensdelikten für eine Person, die im Finanzbereich arbeiten soll, oder Drogendelikten, wenn in einem Krankenhaus mit Opiaten gearbeitet wird), Gesundheitsproblemen, der sexuellen Orientierung oder der Religion sind verboten.
Der Kinderwunsch Ihrer Schwester steht in keinem direkten Zusammenhang mit den Aufgaben einer Bibliothekarin. Infolgedessen ist die Frage unzulässig. In diesem Fall darf Ihre Schwester vom sogenannten «Notwehrrecht der Lüge» Gebrauch machen und die Frage verneinen.
Geschenke: Was darf ich von Kundinnen und Kunden annehmen?
Mein Bruder arbeitet seit zwei Jahren als Jurist in einer Rechtsschutzversicherung. Nun hat ihm ein Kunde eine Uhr im Wert von 1000 Franken geschenkt. Seine Chefin ist der Meinung, dass er die Uhr abgeben müsse, da der Wert den im Firmenreglement festgelegten Wert von 100 Franken für Geschenke übersteige. Hat die Chefin recht?
GILLES SCIBOZ: Ja. Gemäss geltendem Recht hat der Arbeitnehmer dem Unternehmen über alles, was er bei seiner geschäftlichen Tätigkeit geschenkt erhält, Rechenschaft abzulegen und ihm alles zu übergeben. Nicht unter diese Herausgabepflicht fallen Trinkgelder und Geschenke, die sich im üblichen Rahmen halten, da sie für den Arbeitnehmer und nicht für den Arbeitgeber bestimmt sind. Was mit Geschenken «im üblichen Rahmen» gemeint ist, kann ein Betriebsreglement festhalten. Im konkreten Fall gibt es gemäss Ihren Angaben ein solches Reglement. Wenn dort die Grenze von 100 Franken festgehalten ist, gilt dies rechtlich für ihn, und er muss die Uhr seinem Arbeitgeber abgeben.