Roland Erne war Chemielaborant und GBI-Jugendsekretär. Seit 2017 ist er Professor für Europäische Integration und Arbeitsbeziehungen am University College Dublin.
Die laufende Legislaturperiode des EU-Parlamentes geht bald zu Ende. Eine internationale Allianz von Wirtschaftsverbänden und neoliberalen Politikerinnen und Politikern versucht deshalb, zwei fortschrittliche Gesetze im EU-Ministerrat in letzter Minute zu blockieren: die EU-Richtlinie zur Plattformarbeit und das EU-Lieferkettengesetz, das Konzerne weltweit verpflichten soll, nur noch mit Lieferanten zusammenzuarbeiten, die minimale Arbeits-, Menschenrechts- und Umweltstandards einhalten.
In der Schweiz scheiterte 2020 nach einer Angstkampagne der Wirtschaftsverbände die Konzernverantwortungsinitiative trotz Volksmehr am Ständemehr, also an der Mehrheit der Kantone, deren Bevölkerung Nein sagte. Genauso droht nun auch das EU-Lieferkettengesetz am Widerstand einiger EU-Mitgliedsstaaten zu scheitern.
TEILSIEG. Im Januar errangen die Plattformfirmen wie Uber oder Deliveroo einen Teilsieg im EU-Ministerrat. Eine Allianz um den französischen Präsidenten Emmanuel Macron blockierte die Verabschiedung einer neuen EU-Richtlinie, welche die Rechte von Kurierinnen und Chauffeuren in digitalen Plattformen stärken sollte (work berichtete). Am 8. Februar einigten sich die Verhandlungsdelegationen des EU-Parlaments und des Ministerrates auf einen abgespeckten Gesetzesentwurf, der die Arbeitsbedingungen von Plattform-Beschäftigten verbessert. Zwar wurde die detaillierte Checkliste aus dem EU-Gesetzesentwurf gestrichen, die genau bestimmen sollte, wann Plattform-Büezerinnen als Arbeitnehmende eingestuft werden müssen. Aber: Auch laut dem abgespeckten Gesetzestext gelten sie immer noch prinzipiell als Beschäftigte mit Anspruch auf Mindestlöhne und andere soziale Rechte. Deshalb blockierten die Macron-Regierung sowie die Neoliberalen in Deutschland, Griechenland und Estland auch den abgespeckten Text, obwohl 23 Regierungen dafür waren. Trotzdem sollten sich die milliardenschweren digitalen Plattformen nicht zu lange freuen.
TRANSNATIONALER KLASSENKAMPF. Bei der EU-Richtlinie zur Plattformarbeit endete der Gesetzgebungsprozess vorerst in einem Scherbenhaufen. Dennoch hat sich der Kampf für mehr soziale EU-Rechte gelohnt. Trotz den enormen Ressourcen, welche die Plattformfirmen in ihr Lobbying investierten, ist es ihnen nicht gelungen, einen neuen Status für Plattform-Beschäftigte im EU-Recht zu verankern. Ein solcher Zwischenstatus – weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber – hätte ihr ausbeuterisches Geschäftsmodell europaweit legalisiert. Das heisst, es gelang den Plattform-Büezern, das Business-Lobbying mit einer eigenen transnationalen Gegenkampagne zumindest zu neutralisieren. Auch dank linken EU-Abgeordneten wie Leïla Chaibi, welche die Ressourcen des EU-Parlaments nutzten, um Plattform-Büezer europaweit zusammenzubringen.
Nach dem Scheitern des sozialen EU-Gesetzes zur Plattformarbeit forderte der Europäische Gewerkschaftsbund die 23 konstruktiven Regierungen zudem dazu auf, nun die Scheinselbständigkeit mittels nationaler Regeln zu bekämpfen. Auch ein zweiter Anlauf auf EU-Ebene ist möglich, nämlich wenn die Neoliberalen in der kommenden Europawahl vom 9. Juni abgestraft werden. Auch dank dem Kampf um die EU-Plattform-Richtlinie wurden ausbeuterische Geschäftsmodelle europaweit ein Wahlkampfthema. Dieser öffentliche Gegenwind spürt auch die deutsche FDP und die Wirtschaftsverbände, welche derzeit versuchen, nun auch das EU-Lieferkettengesetz zu sabotieren. Anscheinend sind wichtige Teile der europäischen Wirtschaft sogar auf Kinder- und Sklavenarbeit angewiesen.
*Aktualisierte Version, 20. Februar 2024