Laura Gonzalez Martinez ist Verkäuferin in Zürich und Gewerkschafterin.
Ich musste viele Male leer schlucken, als ich die horrende Krankenkassenrechnung für dieses Jahr das erste Mal bezahlte. Irgendwo lag noch der Zettel für die Prämienverbilligung. Schnell suchen, schnell ausfüllen und noch schneller abschicken. Alles an Vergünstigungen einholen, was geht. Zwar ist der Lohn durch die Gewerkschaftsarbeit etwas gestiegen, aber Himmel noch mal, die Rechnungen auch! Mein Hirn arbeitet schon länger im Sparmassnahmen-Modus, aber momentan auf Hochbetrieb. Mein täglicher Morgenkaffee im Laden aus der Maschine? Gestrichen. Der regelmässige Gang zum Lieblingsbäcker? Gestrichen. Ich überlege dreimal, wofür ich mein Geld ausgebe, und vergleiche die Preise. Das hilft nur wenig, und ich bin noch gut dran, ich fahre kein Auto, also fallen hier mal schon einige Kosten weg. Aber ich leiste mir eine Weiterbildung, soll ich die jetzt sausen lassen oder durchziehen?
ARROGANT. Meinem gestressten Hirn fällt plötzlich einer unserer HR-Chefs ein. Und seine, wie ich finde, arroganten Antworten. Es war vor gut einem Jahr an einer grossen Sitzung mit über hundert Mitgliedern der Unia. Der HR-Chef hat sich grosszügigerweise eine Stunde für uns Zeit genommen. Meine Kollegin fragte ihn, wie man mit 4300 Franken überleben solle. Seine Antwort: Man sollte dann vielleicht lieber aufs Land ziehen und nicht in der teuren Stadt wohnen. Und auf die Frage, warum es dermassen schwierig sei, eine Lohnerhöhung für alle zu erhalten, sagte er: Er wisse nicht, warum eine Kassierin 6000 Franken verdienen sollte.
GLEICHGÜLTIG. Und ich fragte mich, warum ein so grosses Unternehmen, das sich sozial nennt, so scharf darauf ist, seine Angestellten in den Ruin zu treiben, obwohl Reingewinne in Milliardenhöhe zu verzeichnen sind. Milliarden! Warum lässt es das Unternehmen zu, dass der Graben zwischen denen, die viel haben, und denen, die wenig haben, immer grösser wird? Die Boni für die obere Etage werden offenbar ja auch angepasst. Für mich hiess diese Sitzung Folgendes: Das Geld bestimmt, wie selbstbestimmt du bist. Also vergiss dein selbstbestimmtes Leben. Die Chefetage bestimmt, wie wertvoll oder eben nicht deine Arbeit ist. Wie wird sich das weiterentwickeln? Wie wird meine finanzielle Situation in zehn, zwanzig oder dreissig Jahren sein? Dem HR-Chef ist egal, wie gut oder schlecht es uns geht. Das hat er mit diesen Antworten eindeutig gezeigt. Und nun, ein Jahr später, kämpfen wir weiter. Die Volksabstimmung am 3. März ist wichtig für unsere Selbstbestimmung. Wir arbeiten nicht ein paar Jahre länger für andere! Und wir fordern die 13. AHV-Rente! Wir müssen zu uns schauen, denn niemand sonst macht es für uns!