Je grösser und komplizierter ein Projekt, desto mehr ist Reto Brotschi im Element. Der bauleitende Elektromonteur sagt, was er von Mikrowellen-Food zum Zmittag hält – und warum der Container mit seinem Büro drin so schwer ist.
Auch als bauleitender Elektromonteur legt Reto Brotschi (36) selber Hand an. (Foto: Alexander Egger)
Auf dem kleinen Schreibtisch schiebt Reto Brotschi die Papierstapel etwas zur Seite, damit der work-Reporter seine Kaffeetasse abstellen kann. Der Platz ist knapp im blauen Container auf der Baustelle in Biel, wo Brotschi und seine Elektriker-Equipe derzeit arbeiten. Bei einem grossen Projekt seien sie bis zu drei Jahre am gleichen Ort, erklärt der 36jährige. Hier sind sie in ein paar Wochen fertig, dann geht es zur nächsten Baustelle. Der Container kommt mit.
Brotschi macht es sich auf seinem alten Bürostuhl bequem und sagt, nur wenige in der Firma hätten einen eigenen Container. «Die anderen richten sich jedes Mal neu ein. Die haben aber auch nicht so ein Materiallager.»
Tatsächlich: Ein Gestell mit über 50 Plasticschubladen nimmt mehr als die halbe Wand des Containers ein. Es enthält Klemmen, Kabel, Sicherungen – Verbrauchsmaterial, sagt Brotschi. Wenn er neu auf einer Baustelle anfängt, füllt er als erstes sein Lager wieder auf. Die Projektleiter, sagt er und lacht, hätten meist keine Freude, wenn er für tausend Franken Material bestelle. «Aber so muss ich nicht jeden Abend checken, was ich an Kleinmaterial brauche. Das spart Zeit.»
ABER DANN… Brotschi grinst immer noch und sagt, mit dem Material, den hier versorgten Maschinen und der eingebauten Küche wiege der Container halt mehr: «Die Firma weiss unterdessen, dass sie für den Transport den grossen Camion mit Kran bestellen muss.» Ja, er sei oft belächelt worden wegen seines ganzen Zeugs. Aber er lässt sich nicht beirren. «So habe ich’s gelernt. Und hey, während der Pandemie gab es ja riesige Lieferprobleme. Da kamen plötzlich alle: Du, hast du mir diese oder jene Sicherung?»
Seit seinem Lehrabschluss als Elektromonteur arbeitet Reto Brotschi bei der ISP Electro Solutions, einer Tochterfirma des Stromkonzerns BKW. Nach anderthalb Jahren als Servicemonteur fragte ihn die Firma, ob er den Posten eines Bauleiters übernehmen wolle. Es habe ihn gereizt, Verantwortung zu übernehmen. «Und ich wollte mir beweisen, dass ich das kann.»
SEITE AN SEITE. Er kann es. Seit 12 Jahren führt er als bauleitender Elektromonteur bis zu zehn Mitarbeitende, je nach Grösse der Baustelle. Er erledigt Papierkram, ist Ansprechperson vor Ort für Kundschaft, Bauherrschaft, für die Lernenden, für die Chefs seiner Firma. Hier in Biel sind sie aber nur zu dritt, so legt er die meiste Zeit selbst Hand an. Und das passt ihm: «Wenn es ein Loch braucht, nehme ich gern mal eine Spitzmaschine und hämmere los.»
Meist ist Reto Brotschi für Grossprojekte im Einsatz, am liebsten für Industrieanlagen: «Da sind die technischen Anforderungen viel höher, etwa beim Brandschutz. Oder wenn es eine Änderung gibt während des Bauens – dann kannst du nicht wie bei Wohnungen schnell eine Wand aufspitzen.»
TERRAIN VERLOREN. Solche Herausforderungen machten die Arbeit attraktiv, sagt Brotschi. Deshalb schmerze es ihn, dass der Beruf unter jungen Menschen wenig gefragt sei. Klar, das liege an den Löhnen, die lange nicht Schritt gehalten hätten. «Schau, ich habe 2009 mit 4200 Franken im Monat angefangen.» Damals ein akzeptabler Einstiegslohn. Doch den Schritt auf 5000 Franken Mindestlohn, den habe erst der GAV von 2019 gebracht – nach einer denkwürdigen Demo in Zürich (work berichtete). «Vorher haben sich die Löhne in der Branche fast nicht bewegt. Zehn Jahre lang!»
Nach der Bauleiterschule habe er, wie die meisten, um die 5600 Franken verdient. Dann habe die Firma seine Erfahrung honoriert: «Schon seit mehreren Jahren fängt der Betrag mit einer 6 an. Davon kann ich leben.»
Trotzdem: Bis zur Pensionierung bleibe er wohl nicht im Baugewerbe. Der Termin- und Kostendruck nehme ständig zu, das strapaziere den Körper und die Nerven. Besonders, wenn ein Projekt schlecht geplant und die Gesamtbauleitung überfordert sei. Das komme leider immer öfter vor. Und weil die Stromer die letzten auf der Baustelle seien, müssten sie oft Fehler ausbaden, die vorher gemacht wurden. «Wenn es eine böse Überraschung nach der anderen gibt, werden die Arbeiter hässig, ist ja klar. Und ich muss Lösungen bringen.» Das sei eine zusätzliche Belastung für alle, die eigentlich gar nicht nötig wäre.
Er hat gelernt, gut zu sich zu schauen. Am Mittag legt er eine Stunde Pause ein und isst eine warme Mahlzeit. «Die Zeit nehme ich mir. Ich rate jedem ab, nur ein Sandwich zu verdrücken oder in der Mikrowelle etwas aufzuwärmen.» Auf Dauer sei das nicht gesund. Wenn es regnet, isst er in einem Restaurant in der Nähe. Und bei Schönwetter? Brotschi öffnet die Tür. Vor dem Container steht ein halbiertes Blechfass mit einem Gitterrost. «Dann grilliere ich mit den Jungs.»
Reto Brotschi Verhandeln und Verreisen
Unia-Mitglied ist Reto Brotschi seit dem Lehrabschluss, 2015 wurde er in die Personalkommission seines Arbeitgebers ISP gewählt. «Als eines Tages ein Unia-Team auf unsere Baustelle kam, habe ich gemotzt, was ich am GAV nicht fair finde. Und der Sekretär: ‹Hey, komm in den Vorstand!›» Seither sitzt er im Regiovorstand Biel-Seeland, heute auch in der regionalen und der nationalen paritätischen Kommission. So hat er den aktuellen GAV und die Lohnrunde mitverhandelt. Brotschi: «Da wird hart verhandelt, aber am Schluss findet man sich. Ich habe viel gelernt!»
SCHRAUBEN. Schon als Bub baute er für die Modelleisenbahn eine regulierbare Lichtanlage, dann eine Disco-Beleuchtung, mit vierzehn schraubte er am Töffli herum. Vor ein paar Jahren kaufte er einen schrottreifen Honda, Baujahr 1971. Den will er restaurieren. Vorher aber geht er in die Schule. Er schliesst gerade eine berufsbegleitende Weiterbildung ab, zum Elektrotechniker HF mit Unternehmensführung. «Im Sommer habe ich das hoffentlich geschafft. Dann ist zuerst eine grosse Reise angesagt – nach Schweden und mit dem Schiff weiter nach Estland.»
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