Viele Frauen tun sich schwer mit der Rentenreform. So erging es auch den Feministinnen Barbara Gurtner und Marie-Louise Barben. Aber nur am Anfang.
EIN JA AUS SOLIDARITÄT: Zugunsten aller Frauen, die viel Betreuungs- und Familienarbeit leisten. (Foto: Daniel Rihs)
Grossmütter-Revolution? Barbara Gurtner (73) und Marie-Louise Barben (79) sind Mitbegründerinnen des Think-Tanks «für die Frauen der heutigen Grossmütter-Generation», den es seit gut fünf Jahren gibt. Eine Art Denkfabrik, die sich für alterspolitische Anliegen einsetzt. Barbara Gurtner ist vierfache Grossmutter und ehemalige Nationalrätin, Marie-Louise Barben zweifache Grossmama und ehemalige Gleichstellungschefin. Und beide gehen sie für ein Ja zur Altersreform 2020 auf die Strasse (siehe Kasten).
Noch vor einigen Monaten hätten sie sich das nicht vorstellen können. Gurtner erklärt das so: «Eine Rentenaltererhöhung für die Frauen auf 65 ohne Lohngleichheit, das geht grundsätzlich gar nicht!» So dachte die Politikerin anfangs über die Rentenreform. Inzwischen hat sie ihre Meinung geändert: «Im Laufe der Kampagne bin ich zum Schluss gekommen, dass wir diese Abstimmung unbedingt gewinnen müssen. Wenn ich alle Vor- und Nachteile für die Frauen anschaue, dann kann ich jetzt Ja sagen, ohne mich zu verbiegen.»
CARE-ARBEIT NICHT ERFASST
Ähnlich sieht das Marie-Louise Barben: «Wir von der Grossmütter-Revolution vermissen, dass die unbezahlte – und hauptsächlich von Frauen geleistete Care-Arbeit – in keiner Weise rentenbildend ist. Frauen leisten Betreuungsarbeit in Milliardenhöhe. Diese erscheint in keinem Budget und wird bis heute nirgends abgegolten.» Trotzdem wird Barben am 24. September Ja stimmen, «aus Solidarität mit allen Frauen, die oft nur kleine Renten erarbeiten können, weil sie viel Betreuungs- und Familienarbeit übernehmen». Für diese bedeute die Revision eine deutliche Verbesserung. Da sind einmal die 70 Franken mehr AHV. Und da sind die Verbesserungen für Teilzeitangestellte. Diese kämen hauptsächlich den Frauen zugute, sagt Gurtner, sowie Männern, die sich um die Kinderbetreuung kümmern. Gurtner und Barbens Argumente tönen politisch sehr pragmatisch. Wie verträgt sich das mit der Revolution?
Auf nach Bern!
Unter dem Motto: «Das Alter ist uns teuer!» ruft die Grossmütter-Revolution zu einer Demo in Bern auf. Alt und jung sind eingeladen, einen bunten Hut aufzusetzen und für ein gutes Leben im Alter zu demonstrieren.
Wann: 2. September, 14–16 Uhr
Wo: Waisenhausplatz, Bern
Als Gleichstellungsbeauftragte habe sie lernen müssen, dass sich die Forderungen der Feministinnen oft nicht direkt in die Verwaltungssprache übersetzen liessen, erklärt Barben: «Wir sind pragmatisch und erfahren genug, so dass wir sicher nicht zum Absturz der Vorlage beitragen werden.» Denn das wäre fatal, sagt Gurtner: «Es wird keine nächste AHV-Revision geben, bei der wir das tiefere Frauenrentenalter beibehalten können. Bei einem Nein werden die Bürgerlichen das Rentenalter für alle massiv erhöhen und den Abbau der AHV vorantreiben. Das ist schlicht eine Frage der politischen Kräfteverhältnisse, die derzeit nicht zu unseren Gunsten liegen. Da müssen wir uns gar keine Illusionen machen.»
GEGNER MACHEN HÄSSIG
Die Kampagne der Reformgegner, die so tue, als müssten die Jungen für die Alten zahlen, macht Gurtner richtig hässig: «Wir wollen nicht mehr hören, dass wir angeblich den Jungen zur Last fallen. Wir haben unser Leben lang Steuern, AHV-Beiträge und Versicherungen bezahlt. Wir haben gearbeitet und Kinder grossgezogen und tragen noch heute viel ehrenamtliche Arbeit für die Gesellschaft bei.» Überhaupt müsse mehr über den Begriff der «Last» nachgedacht werden, sinniert Barben: «Im Kanton Bern heissen die Sparmassnahmen neuerdings ‹Entlastungspaket›, dabei wird hauptsächlich bei Spitex und Heimen gekürzt. Das trifft in aller Härte die alten Menschen sowie die Angehörigen, die sie gratis betreuen. Also wer, bitte, wird denn da entlastet?»