Jean Ziegler
Ayman Nasrallah, gebürtig in Gaza-Stadt, ist Schweizer Bürger seit über 20 Jahren. Er ist Besitzer der Autohandelsfirma «Centre Auto Prestige» und seit Jahrzehnten aktives Mitglied der sozialdemokratischen Partei des Kantons Genf. Seine Frau ist gebürtige Genferin, seine Tochter Laura eine bekannte Rechtsanwältin. Drei seiner Schwestern und zwei seiner Brüder leben in der Hölle von Gaza.
Zur Erinnerung: Auf den Terrorangriff der Hamas-Kämpfer auf Dörfer in Südisrael reagiert Israel seit vier Monaten mit seinem ebenso schrecklichen Rachefeldzug. Bisher haben die israelischen Bombardements über 31 000 Tote und über 300 000 Schwerstverwundete gekostet.
SCHWEIGEN
Oktober 2023: Ayman Nasrallah ersucht bei den Behörden für seine Familie um Familienzusammenführung. Diese ist ein gesetzlich verbuchtes Recht. Es geht um die Rettung vor Tod und Verstümmelung der drei Schwestern und zwei Brüder des Schweizer Bürgers Nasrallah und um ihre Kinder. Alle Gesuche wurden gesetzeskonform eingereicht. Das SEM erteilte keine Antwort – trotz der wegen des israelischen Völkermordes äusserst gefährlichen Situation.
Mehr als zehn andere Schweizer Familien haben für ihre Angehörigen in Gaza ein Gesuch um Familienzusammenführung gestellt. Das SEM verweigert offenbar jede Familienzusammenführung mit Menschen aus Gaza. Ein klarer, willentlicher und potentiell tödlicher Gesetzesbruch.
SCHIKANE
Der Genfer Arzt Raoul Salti stellte 2023 den Antrag für die Einreise und Pflege von 15 schwerverletzten palästinensischen Kindern. Das SEM lehnte das humanitäre Visum ab. Stattdessen gab das SEM Dr. Salti ausschliesslich medizinische Visen. Der Unterschied ist gewaltig: Ein auf 90 Tage beschränktes medizinisches Visum kostet (Reise, Garantiekapital usw.) für 15 Personen beinahe eine Million Franken.
Dr. Salti gab nicht auf. Im Dezember gelang ihm dank privaten Spenden, 8 Kinder zwischen 16 Monaten und 17 Jahren samt ihren Müttern nach Genf für Operationen und Pflege zu bringen. Die anderen Kinder waren inzwischen im Hagel der israelischen Bomben umgekommen.
SCHANDE
Ende April reist der todesmutige, bewunderungswürdige Dr. Salti mit fünf weiteren Ärzten (Schweizern und Franzosen) nach Gaza. Er will andere Kinder, die dort keine Überlebenschance haben, in die Schweiz bringen. Er hofft, diesmal endlich humanitäre Visen zu erhalten.
«Israel regiert in Bern», sagt SP-Ständerat Carlo Sommaruga, der vorbildlich gegen die gewissenlosen SEM-Bürokraten kämpft. Die Schweiz führt mit dem israelischen Waffenkonzern Elbit seit 2018 eine enge, millionenschwere Rüstungskooperation. Mit seiner grausamen Indifferenz will das SEM jede Verärgerung des israelischen Waffenbruders verhindern. Und das ist eine himmelschreiende Schande für unser Land.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein 2020 im Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam im Frühling 2022 als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.
Guten Tag
Ich möchte mich ausdrücklich bei Jean Ziegler für seinen Artikel „Israel regiert in Bern“ bedanken. Endlich auch in der CH-Presse eine kritische Stellungnahme zum Nahostkonflikt. Es ist mir eine Freude Jean Ziegler in alter Frische und Deutlichkeit zu hören.
Beste Grüsse
Andreas Hiltpold