Zum Haarölseichen!
Zugegeben, manchmal kippt die Welt ins Dunkel. Und damit ist nicht nur diese Jahreszeit gemeint, in der es morgens auf dem Weg zur Büez noch finster ist und abends auf...
Es ist eine blumige work-Ausgabe geworden, mit vielen roten Revolutionsnelken. Und eine tierisch starke dazu: Es geht um Katzen und Spatzen, Tiger, Immo-Haie und eine Sauerei. Zudem rücken wir auf acht Seiten Frauen ins Rampenlicht (von hinten nach vorn): Feuerwehrfrau Fiona Hofer, die Pazifi stin Clara Ragaz, Landwirtschaftsaktivistin Sonia Melo, die ermordete Politikerin Marielle Franco, Historikerin Raquel Varela, die oberste Mieterin Linda Rosenkranz, Tiger-Bändigerin Céline Z. und die Klimaseniorinnen.
Klimaseniorinnen ist zurzeit in rechtsbürgerlichen Ohren ein Reizwort. Deshalb gleich noch mal: Klimaseniorinnen! Von Kindern und Seniorinnen, die sich fürs Klima einsetzen, scheinen sich Bürgerliche bedroht zu fühlen. Dabei hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ganz sachlich entschieden: Die Schweiz tut zu wenig für den Klimaschutz. Mit den bisherigen Massnahmen wird sie das unterzeichnete Pariser Klimaabkommen nicht einhalten können, das eine Erderwärmung von klar unter 2 Grad anstrebt. Und der EGMR rügt die Schweizer Gerichte, dass sie die Klage der Klimaseniorinnen über mangelnden Gesundheitsschutz nicht ernst genommen haben.
Das Urteil ist wegweisend, entsprechend wurde weltweit darüber berichtet. Meist mit Fokus auf die Bedeutung fürs Klima. Doch hierzulande wenden Politiker von FDP, SVP und Mitte antike Methoden an: sie «köpfen» zumindest verbal die Überbringer schlechter Nachrichten. Statt über ihre Versäumnisse beim Klimaschutz zu sprechen, verurteilen sie das Gericht, das ihnen diese Nachricht überbringt. Das Urteil sei «gaga» (SVP-Graber), «unverständlich» (FDP-Wasserfallen) und eine Gefahr für die direkte Demokratie (Mitte-Pfister). Überhaupt, die Demokratie, und dann erst noch die direkte! Im bürgerlichen Lamento über das «politische Urteil» scheint die freie Schweiz in ihren Grundfesten bedroht.
Dumm nur, dass weder Bundesrat noch Bundesgericht ihre Hausaufgaben machen wollten und die Klimaseniorinnen ihre Klage deshalb weiterziehen mussten. Die Strassburger Richter argumentieren, dass die Klimaerhitzung die Gesundheit schädigen kann. Das Recht auf Gesundheit ist wiederum ein Menschenrecht. Das ist keine politische Einflussnahme, sondern eine juristische Argumentation, basierend auf wissenschaftlichen Tatsachen. A propos «politisches Urteil»: Wo blieb der bürgerliche Schwanengesang auf die politische Unabhängigkeit der Gerichte, als fünf bürgerliche Männer, bis auf einen alle über fünfzig, geschiedene Mütter demütigten, indem sie sie zu mehr Erwerbstätigkeit zwangen? Ungeachtet ihrer unbezahlten Erziehungs- und Hausarbeit, die sich zudem nicht unbedingt förderlich auf ihre Erwerbsmöglichkeiten auswirkte? So geschehen am tiefschweizerischen Bundesgericht.
Vielleicht fürchten sich Bürgerliche nicht nur vor Klima-Kindern und -Seniorinnen, sondern auch vor Frauen. Zumindest sind sie in ihren Parteien eher untervertreten. Ganz anders als in dieser work-Nummer.