Flying Tiger Bern: Rausgemobbt, weil sie Gewerkschaftsmitglieder sind
Wenn der Studi-Job zum Albtraum wird

Alles fing damit an, dass die ­Belegschaft der Flying-Tiger-­Filiale am Berner Bahnhof etwas mehr Lohn forderte. Denn mit 22 Franken brutto die Stunde lässt es sich schwierig leben. Was folgte, war eine Mischung aus Schikanen, Ignoranz und Mobbing.

MUTIG: Julian R. und Céline Z. baten um eine bescheidene Lohnerhöhung. Doch selbst das war zu viel. (Foto: Matthias Luggen)

Mobbing, Machtspiele und missbräuchliche Kündigungen: Was die Mitarbeitenden in der Filiale am Berner Bahnhof vom dänischen Dekoladen Flying Tiger im vergangenen Jahr erlebten, war reine Tortur. Angefangen hat alles ganz harmlos: Student Julian R. (22) arbeitete schon einige Jahre beim dänischen Konzern. Eine Lohnerhöhung gab es nie. Die Mehrheit der Mitarbeitenden sind Studierende. Alle ausser die Filialleitung und ihre Stellvertretung sind im Stundenlohn angestellt. Der Verdienst: 22 Franken brutto pro Stunde, ohne 13. Monatslohn.

Julian R. trommelte daraufhin sein Team einschliesslich Filialleitung zusammen. «Durch die Teuerung hatte ich Schwierigkeiten, mit dem tiefen Stundenlohn über die Runden zu kommen», sagt er. Daraufhin schrieb die gesamte Belegschaft im März letzten Jahres einen Brief an die Geschäftsleitung von Flying Tiger Schweiz mit Sitz in Luzern. Die Forderung: 26 Franken Stundenlohn sowie eine jährliche Teuerungsanpassung. Dafür haben die Verkäuferinnen und Verkäufer die Mindestlöhne bei anderen Detailhändlern verglichen. Zu diesem Zeitpunkt lag dieser bei Coop und Migros bei etwas über 27 Franken die Stunde.

Die Geschäftsleitung ignorierte das Schreiben zwei Monate lang. Und vertröstete mit einer halbbatzigen Antwort. Céline Z. (22) arbeitete zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in der Filiale am Berner Bahnhof. Sie sagt: «Das war sehr ernüchternd. Wir haben regelmässig die Preise im Laden umetikettiert und erhöht. Aber für uns gab es keinen Rappen mehr.» Deshalb war klar: Jetzt müssen sie sich gewerkschaftlich organisieren.

GEWERKSCHAFTSMITGLIEDER IM VISIER

Mit Hilfe der Gewerkschaft Unia in Bern schrieben sie im Herbst letzten Jahres einen weiteren Brief an die Geschäftsleitung. Dieses Mal war ersichtlich, dass der Brief von den Arbeitnehmenden und der Gewerkschaft gemeinsam kommt. Die Geschäftsleitung sah sich nicht zum Handeln veranlasst und verweigerte die Gespräche. Das sollte sich später als ihre Strategie entpuppen. Nach diesem zweiten Schreiben überschlugen sich die Ereignisse. Die Filialleiterin begann, gezielt Mitarbeitende zu schikanieren.

Zudem zitierte sie sie zu Einzelgesprächen, was in dieser Filiale nicht zur Norm gehört. ­Julian R.: «Alle wussten: lädt die Chefin zum Gespräch ein, ist das kein gutes Zeichen.» Die Filialleiterin sagte nie konkret, was der Grund für die Einladung sei. Es war die Rede von «Konflikten im Team», oder sie benutzte andere vage Formulierungen. Erst auf dem Gesprächsprotokoll, das nicht ansatzweise dem tatsächlichen Gespräch entsprach, waren die Anschuldigungen ersichtlich: nachlassende Arbeitsleistung und Demotivation. Bei allen geführten Einzelgesprächen erstellte die Filialleiterin dieselbe Notiz. Céline Z. sagt: «Die Chefin hat gezielt Mitarbeitende in die Mangel genommen, von denen bekannt war, dass sie Gewerkschaftsmitglieder sind.»

Wieder wandte sich die Belegschaft an die Gewerkschaft. Wieder kontaktierte die Unia die Geschäftsleitung. Und wieder reagierte niemand. Die Einzelgespräche hörten zwar auf, doch die Situation spitzte sich zu.

«AUF GANZER LINIE UNPROFESSIONELL»

Im November, Dezember und Januar erhielten ausgewählte Mitarbeitende, darunter Julian und Céline, massiv weniger Arbeitsstunden, als in den Vormonaten zugeteilt. Die Chefin der Filiale wurde in der Zwischenzeit befördert, und eine neue Person übernahm die Leitung. Doch die Probleme blieben ungelöst. Weiterhin wurden einzelne Mitarbeitende gezielt ausgeschlossen und von der Arbeit ferngehalten. Schichtabtausche waren nicht mehr wie jahrelang vorher unter den Kolleginnen und Kollegen möglich, sondern nur noch mit Erlaubnis der Chefin. Als eine der betroffenen Mitarbeitenden mehrmals nachfragte, warum sie keine Schichten mehr arbeiten dürfe, verriet sich die neue Chefin: «Ich bin informiert worden, dass ich dir keine Schichten geben kann», hiess es in einer Nachricht, die auch work vorliegt. Parallel dazu wurden online neue Stellen ausgeschrieben und neue Arbeitskräfte angestellt. «Das Verhalten der Führungspersonen war unprofessionell und respektlos uns gegenüber», sagt Céline Z.

Schliesslich schloss sich eine Gruppe aus sieben Personen zusammen und bat die Chefin persönlich um ein Gespräch. Sie stellten ihr wichtige Fragen: Wieso sie keine Schichten mehr erhielten oder warum diese nicht fair auf alle verteilt würden. Darauf gab es keine Antworten. Schlimmer noch: Wenige Tage später erhielten alle ­sieben eine schriftliche Kündigung. Die Vorwürfe waren komplett aus der Luft gegriffen. ­Julian R. sagt: «Für uns war klar: Wir wehren uns gegen diese Kündigungen und die haltlosen Vorwürfe!»

Aktuell wehren sich sieben Betroffene gegen die Umstände bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber und die missbräuchliche Kündigung mit dem Rechtsdienst der Unia. Zum Fall bezieht Flying Tiger Stellung: «Flying Tiger Copenhagen steht absolut für Toleranz, Respekt und Antidiskriminierung. Mobbing und Benachteiligungen werden nicht geduldet, und entsprechend weisen wir die Behauptung zurück, dass Mitarbeiter aufgrund ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit diskriminiert wurden. Flying Tiger Copenhagen erkennt das Engagement der Unia für Arbeitnehmer in der Schweiz an.» Tatsächlich steht auch in einem internen Dokument: «Flying Tiger Copenhagen verbietet Diskriminierung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, Alter, nationaler Herkunft, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Behinderung, Gewerkschaftszugehörigkeit, politischer Zugehörigkeit oder eines anderen durch geltende Gesetze geschützten Status.» Die eigenen Richtlinien scheint Flying Tiger in der Filiale am Berner Bahnhof vergessen zu haben.

4 Kommentare

  1. EK 2. Mai 2024 um 22:18 Uhr

    Ich bin zurzeit immer noch tätig bei Flying Tiger (in einer anderen Filiale) und ich kenne solches Verhalten nur zu gut. Ich arbeite nun schon fast zwei Jahre im Tiger und habe über längere Perioden in drei verschiedenen Filialen gearbeitet. Ich kann selber von mir behaupten, dass ich grösstenteils gut behandelt wurde, weil ich schlicht übermässig mehr gearbeitet habe, als ich je hätte sollen. Allerdings, wurden trotzdem schon die kleinsten Fehler bemängelt und überdramatisiert. Nebst diversen unprofessionellen Konflikten mit meinen Vorgesetzten (das war teils wirklich SEHR unprofessionell und fast schon belästigend) war/bin ich viel öfters aber auch Zeuge vom Unrecht, welchen meine Mitarbeiter erfahren mussten/müssen. Wie gesagt wurde ich mehrheitlich gut behandelt und hatte über eine lange Zeit hinaus ein sehr vertrautes Verhältnis mit meinen Vorgesetzten (Filialleiter, STV und District Manager), welches mir auch einen guten Einblick in deren Perspektive verschafft hat. Ich durfte oft mehr Verantwortung tragen, wofür ich nicht wirklich mehr bezahlt wurde, aber das war mir recht so. Ich habe die Arbeit stets gerne gemacht. Wie dem auch sei, habe ich durch dieses Verhältnis oft den Umgang mit meinen Mitarbeitern aus der Perspektive der Vorgesetzten gesehen. D.h. oft kannte ich bei Kündigungen z.B. den inoffiziellen Grund oder ich habe auch oft miterlebt, dass aufgrund von „persönlichen“ Problemen eben genau solche Massnahmen ergriffen wurden, wie zum Beispiel, dass den Mitarbeitern keine Schichten mehr gegeben wurden „um ihnen eins auszuwischen“. Lustig finde ich auch, dass hier über die Gleichbehandlung gesprochen wird. Dem ist nicht so. Ich habe in drei verschiedenen Filialen gearbeitet (ich hatte insgesamt 3 verschiedene Filialleiter und über 6 STV Filialleiter als Vorgesetzte) und in keiner wirden die Arbeiter wirklich gleich behandelt. Rückblickend stört mich das besonders, da ich sagen kann, dass ich einer der Arbeiter war, die hervorgehoben wurden. Ich hatte als normaler Stundenlöhner privilegien die andere Stundenlöhner nicht hatten. Zu Beginn war ich ok damit, denn jeder geniesst doch eine solche Position, doch als ich begann zu verstehen, wie sich meine Mitarbeitenden fühlten, habe ich dieses Verhältnis angefangen zu meiden. Als ich in der letzten Filiale angefangen habe zu arbeiten (die, in der ich heute nich tätig bin) habe ich mir vorgenommen ein weitaus distanzierteres Verhältnis zu meiner Arbeit zu pflegen. Schliesslich ist das nur ein Nebenverdienst für mich, da ich Student bin und ich brauche den Job nicht wirklich. Trotzdem passieren täglich solche unprofessionelle Sachen, man kommt im Tiger schlicht nicht drum herum.

    Ich könnte hier noch einen ganzen Roman schreiben, aber naja ich glaube der Punkt ist ersichtlich.

    Etwas möchte ich jedoch noch anmerken. Bei einer Mitarbeiterbefragung, welche nicht all zu lang her ist (2023) kam vermehrt die Frage nach einer Lohnerhöhung auf. Dies wurde sehr transparent mit uns geteilt. Alerdings war die Antwort darauf mal wieder „Wir haben nicht die gewünschten Zahlen/Ziele erreicht, um eine Lohnerhöhung gewähren zu können.“ Das ist ehrlichgesagt absurd, wenn gefühlt jeden zweiten Monat eine neue Filiale aufgeht. Es wundert mich schlicht nicht mehr, warum Filialen wie Bern und Zürich Löwenstrasse kurz vor dem Kollaps stehen, wenn die Mitarbeiter schlicht nicht geschätzt werden.

  2. EZCH 18. April 2024 um 12:07 Uhr

    Ich habe auch bei Flying Tiger gearbeitet und wurde von Vorgesetzten ausgefragt wer sich denn da organisiere. Das Ziel war klar, die betreffenden Personen kaltstellen.

    • Fabio Argento 19. April 2024 um 13:07 Uhr

      Ich selber habe auch im Flying Tiger gearbeitet an der Löwenstrasse und würde rausgeekelt so wie lügen über mich erzählt

    • Céline Z 19. April 2024 um 14:45 Uhr

      Herzlichen Dank für Ihren Kommentar! Ihre Schilderungen verdeutlichen nochmals die knallharte und zu Gewerkschaftsfeindlichkeit neigende Haltung von Flying Tiger! Ich finde es enorm wichtig, dass auf solche Themen aufmerksam gemacht wird! Denn solches Vorgehen hat leider einfach System.

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