Laura Gonzalez Martinez ist Verkäuferin in Zürich und Gewerkschafterin.
Bei den Begrüssungen mit meinen Gspönli sprechen wir meistens kurz über die eigenen Wehwehchen, das Wetter und danach über die Arbeit. Die Wehwehchen meiner Kolleginnen und Kollegen begleiten mich in dieser Filiale seit über fünf Jahren, und ich kenne die Fortschritte oder Verschlechterungen. Wir alle haben das, was unsere Arbeitsbedingungen bieten. Von Kopf bis Fuss. Und das chronisch. Ich eingeschlossen: Von den vielen Jahren in der Kälte, dem stundenlangen und pausenlosen Stehen knacken meine Knie ein lautes Konzert, wenn ich mühsam die Treppen steige. Und ich bin erst knapp vierzig.
KEIN KLO
Vieles hat sich zwar in 20 Jahren verbessert. Als ich im Verkauf in einem kleinen Kiosk in Zürich anfing, hatten wir nicht mal ein Klo. Doppelschichten waren ein Luxus. Wir mussten entweder den Laden unbeaufsichtigt lassen, um ins nächste Restaurant gehen zu können, was dem Vorgesetzten natürlich missfiel. Oder, wenn es ganz kritisch wurde, einen Eimer benutzen. Und das passierte oft.
BLASENENTZÜNDUNG
In dieser Zeit hatte ich noch einen zweiten Job im Sicherheitsbereich. Über Stunden draussen bei Minustemperaturen zu stehen war absolut üblich. Und damit auch meine chronische Blasenentzündung. Mittlerweile habe ich ein WC, arbeite nicht dauernd allein, kann in der Pause dreissig Minuten sitzen, und ganz so kalt ist es in der Molkiabteilung nicht. Also ja, es ist besser.
FALSCHE SCHAM
Wenn der Körper zwickt, erzählt er seine Geschichte. Er hat vieles ausgehalten und toleriert. Doch auch psychisch haben diese Bedingungen Spuren hinterlassen. Ich bin empfindsamer und fordernder geworden. Ich toleriere nicht mehr alles. Wenn ich anderen von meinem Einstieg in die Arbeitswelt erzähle, fallen manchen fast die Augen aus dem Kopf, oder viele erzählen mir ihre ebenfalls schlimmen Erlebnisse. Einmal kam die Reaktion: Man spricht doch nicht über so was Unangenehmes wie in den Eimer pinkeln, das will niemand hören! Doch genau deshalb spreche ich darüber. Das sind Dinge, die man nicht sieht, wenn man irgendwo etwas konsumiert. Man sieht nicht, wie es dieser arbeitenden Person hinter der Kasse, am Tresen oder am Eingang geht. Je mehr wir darüber reden, desto eher und schneller lassen sich die Bedingungen ändern. Nicht uns muss es unangenehm sein, sondern allen, die so etwas zulassen: den Arbeitgebern.