Stur wie eine Eselin
Die Wahrheit ist ja bekanntlich ein stark umworbenes, kostbares Gut. Und sieht je nach Blickwinkel sehr unterschiedlich aus.
Mit dieser Ausgabe feiern wir Premiere! work hat schon zahlreiche Sondernummern, Extrablätter und Broschüren publiziert, aber noch nie zum 1. Mai! Es war also höchste Zeit. Denn der Tag der Arbeit ist wichtiger denn je. Ob im Detailhandel, auf dem Bau oder im Gewerbe: kein Fortschritt ist für immer errungen. Immer wieder, jedes Jahr und jeden Tag, müssen Büezer und Büezerinnen ihre Rechte vehement einfordern. Bauvorarbeiter Xhafer Sejdiu, der in den letzten 30 Jahren an jedem 1. Mai war, sagt es so: «Wir haben nie etwas geschenkt bekommen und werden auch in Zukunft nie etwas geschenkt bekommen.»
Was der 1. Mai für sie bedeutet, sagen sieben Unia-Mitglieder in dieser Sondernummer, darunter auch Verkäuferin und work-Kolumnistin Laura Gonzalez. Das Leben ihrer aus Spanien eingewanderten Eltern sei geprägt gewesen von der Angst, die Schweiz verlassen zu müssen, von Fremdenfeindlichkeit und harter Arbeit. Anders als ihre Eltern geht Laura Gonzalez an diesem wichtigen Tag ganz furchtlos auf die Strasse. Um das zu fordern, was ihr und ihren Kolleginnen zusteht: «Gesundheit, gute Arbeitsbedingungen, faire Löhne und Respekt, verdammt noch mal!»
Respekt verdienen auch die Mitarbeitenden der Glasflaschenfabrik Vetropack in Saint-Prex VD. Sie haben der Geschäftsleitung konkrete Pläne vorgelegt, wie sie ihre Arbeitsplätze retten könnten. Und damit auch die letzte Fabrik, die in der Schweiz aus Altglas neue Flaschen herstellt. Peko-Präsident João Fereira kämpft zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen gegen die Fabrikschliessung. Denn: «Die Schweiz, Erfinderin des Glasrecyclings, wäre dann fast das einzige europäische Land ohne eigene Glasfabrik.» Die Schweiz ist Europameisterin im Glasrecycling. Dieses wurde hier in den 1970er Jahren von Vetropack eingeführt. Das Prinzip mit den kommunalen Sammelstellen haben inzwischen fast alle europäischen Länder übernommen.
Etwas Recycling haben auch wir betrieben. 20 Plakate zum Tag der Arbeit haben wir wiederverwendet und abgedruckt. Ein Konzentrat von 100 Jahren Grafik- und Gewerkschaftsgeschichte. Das älteste Plakat von 1920 ruft zur Demonstration für die «rote Internationale» auf. Zu sehen ist ein Arbeiter im Sonntagsgwand, den Maibändel anheftend, vor ihm Hammer, Amboss und rote Nelken. 1991 dann das Frauenstreik-Ikonenbild. Der Text: «Frauen wollen Taten sehen». Der rote Faden, der all diese Jahre verbindet: Der Ruf nach Freiheit, Frieden, Solidarität. Die Themen Gleichberechtigung, Arbeitszeit, Renten und Löhne. Kurz: Gerechtigkeit. Denn darum geht es doch am 1. Mai. Wer trägt wie viel zum Kuchen bei? Wer bekommt welches Stück? Und wer noch ein Sahnehäubchen obendrauf?
work wünscht Ihnen einen kämpferischen 1. Mai!