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Der 1. Mai im SRF: Durch den Dreck gezogen

Ein Krawall ist eine lukrative Sache. Für Glaserfirmen, Versicherungsmakler und besonders für uns Medienschaffende. Denn egal wer gerade durch die Strassen saubannert: in Sachen Klickzahlen und Einschaltquoten stellt ein brennender Benz alles in den Schatten. Und wenn dann noch ein Wasserwerfer auffährt, ist der News-Tag schon perfekt. Was aber tun, wenn’s einmal nicht brennt?

Dieses «Problem» stellte sich der Journi-Gilde am diesjährigen 1. Mai – und überforderte einige gehörig, darunter die Kolleginnen und Kollegen des Schweizer Fernsehens SRF. Bekanntlich gab es nirgendwo Ausschreitungen. Das höchste der Gefühle waren kolorierte Vitrinen bei Chocolatier Läderach in Zürich und ein paar weitere Kleckser an einer UBS-Filiale in Basel.

DISKREDITIERT

Nun könnte man als ­öffentlichrechtliches Medium in dieser Situation das tun, was auf der Hand liegt: einen nüchtern-informativen Bericht verfassen über das bunte Treiben und die thematischen Schwerpunkte an den über fünfzig Maifeiern im ganzen Land. Genau das taten die staatlichen Sender RTS in der Romandie und RSI im Tessin.

WAS WAR DAS? Die SRF-Berichterstattung über den 1. Mai ist auf Krawall getrimmt. (Screenshot)

Doch im Schwesterhaus am Leutschenbach reitet man mittlerweile offen antilinke Kampagnen. So begann die Tagesschau prompt mit Bildern der unbewilligten Zürcher Nachdemo, zu der sich rund 200 Autonome versammelt hatten. Und obwohl auch diese Veranstaltung keinerlei Krawallbilder lieferte, widmete ihr die Tagesschau mehr als die Hälfte der ganzen Beitragszeit. Die erste Interviewpartnerin darin: eine Polizeisprecherin! Später durften auch die Gewerkschaften noch kurz ein Sätzli sagen. Mehr nicht. Schliesslich brauchte der Sonderreporter im Langstrassenquartier noch genügend Sendezeit – um wieder von den Krawallen zu sprechen, die es nirgends gab! Deut­licher hätte das SRF seine Absicht kaum offenbaren können – der Tag der Arbeit soll diskreditiert werden, ganz egal was auf der Strasse passiert.

BEHAUPTUNG

Entsprechend gab sich auch «10 vor 10» alle Mühe, den 1. Mai ins Lächerliche zu ziehen. Die Parolen an den Kundgebungen seien «arg heruntergebrochen», urteilte die Sendung. Um dann Suggestivfragen nachzuschieben: «Wie realitätsnah ist die Klassenkampf-Rhetorik tatsächlich?» «Können die Menschen mit den plakativen Parolen überhaupt etwas anfangen?» «Passt das noch ins Jahr 2024?» Das grosse und letzte Wort dazu erhielt Jürg Müller, Direktor der neoliberalen Ideologiefabrik Avenir Suisse. Er lieferte wie bestellt: Dank dem Kapitalismus würden wir heute länger leben und mehr Freizeit geniessen, durfte er behaupten. Und warnen: Die «freiheitliche Wirtschaftsordnung» gerate immer mehr unter Druck. Wohin das führe, habe die Geschichte gezeigt: «regelmässig in autoritäre Katastrophen». Vom 1. Mai direkt in den Gulag also. Ende der Belehrung, nächster Beitrag.

Nachschauen kann man die Tagesschau vom 1. Mai unter diesem Link.

1 Kommentare

  1. Jost Beat 15. Mai 2024 um 17:16 Uhr

    Jonas Komposch trifft es 100-prozentig. Die 1. Mai-Berichterstattung von TV SRF war unprofessionell, eine Frechheit und eine Beleidigung der zehntausenden friedlich manifestieren Gewerkschafter*innen. Wer bringt die Sache vor die UBI?

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