Zarije Bajrami bringt als alleinerziehende Mutter ihre Familie und ihren Beruf als Raumpflegerin unter einen Hut. Dank ihren drei Kindern, Freundinnen und der Arbeit hat sie nach dem gewaltsamen Tod ihres Mannes einen Weg aus der Depression gefunden.
Raumpflegerin Zarije Bajrami (58) reinigt Schulzimmer und kämpft für bessere Arbeitsbedingungen. (Foto: Michael Schoch)
Die Kantonsschule Wiedikon thront auf einem grünen Hügel in der Stadt Zürich. In einem schlossähnlichen Gebäude gehen hier über tausend Jugendliche zur Schule. Doch für Zarije Bajrami beginnt der Arbeitstag erst am frühen Abend, wenn die meisten Schülerinnen und Schüler wieder weg sind. Bajrami putzt nach Schulschluss die Treppenhäuser, die Schulzimmer und die Turnhallen. Ihren Traumberuf habe sie in Kosovo zurückgelassen, sagt Bajrami. Dort habe sie als einziges Mädchen ihrer Klasse das Gymnasium besucht und danach eine Ausbildung als Agronomin abgeschlossen. Die Eltern hätten sie lieber zu Hause auf dem Bauernhof eingespannt. Aber sie habe gesagt: «Nein, ich muss weg, ich will meine Zukunft selber gestalten, ich will nicht auf eurem Bauernhof arbeiten.»
«NË ZYRIH» – «IN ZÜRICH»
Als sie im Jahr 1992 im Alter von 26 Jahren mit ihrem Mann aus politischen Gründen in die Schweiz flüchtete, konnte sie ihren Beruf als Agronomin nicht mehr ausüben. Ein Jahr nach ihrer Ankunft wurde Bajrami Mutter und begann in Restaurants und in der Reinigung zu arbeiten. Zuerst habe sie mit ihrem Mann im Bauschänzli gearbeitet, einem Lokal auf einer Insel in der Limmat, wo Bratwurst serviert wird und oft Schlagermusik läuft. Die Familie wohnte in einer kleinen Angestelltenwohnung im Zürcher Stadtzentrum beim Bellevue. Das sei für sie und ihren Mann die glücklichste Zeit in der Schweiz gewesen. Über ihre Spaziergänge hat Bajrami auch ein Gedicht geschrieben «NË ZYRIH» – «IN ZÜRICH» und in einem Gedichtband veröffentlicht. Niemals hätte sie damals damit gerechnet, dass der Krieg im Balkan für sie Tod, Schmerz und Trauma bringen würde.
WITWE MIT DREI KINDERN
Zarijes Mann kehrte Ende der 1990er Jahre als humanitärer Helfer nach Kosovo zurück und wurde im Krieg tödlich angeschossen. Bajrami lebte in der Folge als Witwe mit ihren drei Kindern und sehr wenig Geld in Zürich. «Die Situation hat mich kaputtgemacht», erinnert sich Bajrami an diese Zeit. Der Tod ihres Mannes war für Bajrami ein Abgrund, eine Katastrophe, sagt sie. Trotz Depressionen und den Verpflichtungen als Mutter arbeitete sie damals Teilzeit als Reinigungshilfe in der Migros, bei Conforama und auch als Putzfrau in privaten Haushalten. Als alleinerziehende dreifache Mutter sei der Alltag sehr anstrengend gewesen. Aber nur mit einem Arbeitsvertrag habe sie den Schweizer Pass für sich und ihre Kinder beantragen können. Im Jahr 2004 wurde die Familie eingebürgert. Ihr Heimatland Kosovo hatte sie damals wegen der fehlenden Papiere und der laufenden Einbürgerung während insgesamt 12 Jahren nicht mehr besucht.
REDE AM FRAUENSTREIK
Die Arbeit habe ihr aber auch geholfen, auf andere Gedanken zu kommen und neue Freundinnen zu finden. In dieser Zeit ist sie auch der Unia beigetreten. Zuerst habe sie sich regelmässig mit einer albanischen Gruppe der Unia getroffen. «Dort lernte ich, wie ich mich besser für mich und meine Kolleginnen in der Reinigungsbranche einsetzen kann», sagt Bajrami. Der Frauenstreik im Jahr 2019 sei für sie ein persönlicher Höhepunkt gewesen: «Ich durfte für den Sektor Reinigung eine Rede auf dem Helvetiaplatz halten.» In ihrer Rede forderte sie von den Arbeitgebern längere Schichten und Lohnerhöhungen. «Mit Zweistundenschichten verlieren wir viel Zeit für den Arbeitsweg und haben oft auch keine Pensionskasse.» Auch die Nachtzuschläge würden in der Branche oft nicht bezahlt. Das müsse sich ändern, denn oft arbeite das Reinigungspersonal in den Grossraumbüros bis spät in die Nacht und werde dafür nicht korrekt bezahlt. Sie selber erhalte für die Nachtarbeit einen Stundenzuschlag von 6 Franken und 60 Rappen.
TEAM UND KLEINE GESCHENKE
In ihrem jetzigen Job in der Kantonsschule Wiedikon ist Bajrami sehr zufrieden mit den Arbeitsbedingungen und vor allem auch mit dem Team, das wie eine multikulturelle Familie sei. Bajrami hat jetzt auch eine Pensionskasse und verdient als Kantonsangestellte mit einem 50-Prozent-Pensum etwa 2300 Franken brutto pro Monat. Mit diesem Lohn konnte sie sich die Miete in der Stadt Zürich nach der Sanierung ihrer Wohnung jedoch nicht mehr leisten. Vor einigen Jahren ist sie mit ihren beiden Söhnen in die Zürcher Agglomeration nach Dietikon umgezogen. Gegen das Ende ihres Arbeitstages nach zehn Uhr reinigt Bajrami die Turnhallen, wenn die Sportvereine ihre Trainings und Turniere fertig haben. Feierabend ist dann oft erst gegen elf Uhr nachts. Es sei schön, die verschiedenen Menschen in der Schule und in den Turnhallen zu treffen. Manchmal erhalte sie auch Geschenke von den Sportvereinen oder von der Schulleitung. «Dann merke ich, dass die Menschen meine Arbeit schätzen. Das tut gut.»
Zarije BajramiFamilie an erster Stelle
Zarije Bajrami ist Gründerin und Leiterin der albanischsprachigen Frauengruppe «Frauenenergie, Mutter Teresa». Mit den Frauen trifft sie sich wöchentlich – manchmal gehen sie ins Shoppingcenter, teilweise in die Kirche. In ihrem Alltag kommt aber immer zuerst die Familie. Inzwischen ist Bajrami auch bereits zweifache Grossmutter.
PAZIFISTIN. An zweiter Stelle in ihrem Leben kommen Lesen, Schreiben und Politik. Zarije hat einen Roman über eine schwangere Frau in der Ukraine geschrieben, die ihr Baby alleine im Wald gebären muss und dabei die existentielle Angst um das Neugeborene erlebt. Bajrami wünscht sich ein Ende aller Kriege dieser Welt, in der Ukraine, in Iran, in Israel und anderswo. Mit den vielen Kriegen bleibe kein Geld für die armen Menschen – für die Waffen hätten die Staaten aber immer Geld.
UNIA. Zusammen mit der Unia kämpft sie für die Frauen in der Reinigung. Wenn sie Chefs sehe, die mehr als einen Viertel ihres Stundenlohnes als Profit einstreichen, dann sei das für sie eine Form der Ausbeutung. «Der Frauenstreik», sagt sie, «hat den Frauen viel Energie gegeben, aber viele Forderungen sind bis jetzt nicht erfüllt worden.»
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