Auf der Matte stehen um 6 Uhr 15, aber Lohn erst ab 6 Uhr 30? So nicht, fand Gerüstmonteur Volker Hauptmann – und bekam recht.
KLARER VERSTOSS: Gemäss dem Aushang bei Roth Gerüste in Oberbüren SG mussten die Büezer um 6 Uhr 15 vor Ort sein, bezahlt wurden sie aber erst ab 6 Uhr 30. (Foto: Keystone/ZVG)
Baubüezer sind Frühaufsteher. Zwangsläufig. Denn ihre Arbeit beginnt in der Regel bereits um 7 Uhr. Noch früher begann der Tag für Gerüstmonteur Volker Hauptmann*, und zwar während seiner Zeit bei Roth Gerüste, dem grössten Gerüstbauunternehmen der Schweiz. Hauptmann sagt: «In der Sommerzeit klingelte mein Wecker um 4 Uhr 45, denn ich musste jeweils schon um 6 Uhr 15 in der Firma stehen. Gezahlt wurde aber erst ab 6 Uhr 30!» Und davon sei nicht nur er als Gruppenführer betroffen gewesen, sondern alle rund 30 Kollegen der Niederlassung in Oberbüren SG – und dies über Jahre. Ein Firmenaushang von 2023, der work vorliegt, bestätigt: «Eintreffen im Lager Oberbüren 6.15 Uhr» heisst es da, und dann: «Arbeitsbeginn 6.30 Uhr».
Nach einem knappen Jahr hatte Hauptmann genug. Er kündigte und verlangte von Roth die nachträgliche Bezahlung der gesamten Arbeitszeit. Diese ist im Schweizer Arbeitsgesetz schliesslich klar definiert: «Als Arbeitszeit gilt die Zeit, während deren sich der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin zur Verfügung des Arbeitgebers zu halten hat.» Es ist also nicht relevant, ob frühmorgens tatsächlich schon geschwitzt oder erst ein Kaffee getrunken wird, sofern es eine Präsenzanweisung des Arbeitgebers gibt. Zum Käfelen wurden die Arbeiter in Oberbüren aber nicht aufgeboten.
«SONST KANN JA JEDER KOMMEN»
Hauptmann sagt: «Um 6 Uhr 15 waren auch die meisten Projektleiter schon in der Bude und haben uns dann direkt ihre Pläne vorgelegt und erklärt, was es an diesem Tag zu tun gibt.» Eine klare Arbeitsleistung also. Trotzdem wollte Roth nichts von Hauptmanns Forderung wissen. Doch der Ex-Angestellte gab nicht auf, sondern holte sich Rat bei Unia-Mann Lukas Auer. Dieser brachte die Sache vor die Schlichtungsstelle für Arbeitsverhältnisse in Wil SG. Mitte Mai kam es zur Verhandlung. Doch auch da gab sich der Roth-Vertreter uneinsichtig. Dazu Auer: «Er sagte uns, er werde ganz sicher nichts bezahlen, denn sonst könne dann ja jeder kommen. Er wolle aber keine Kettenreaktion.» Der Schlichtungsvorsitzende habe dann aber ziemlich klar durchblicken lassen, dass es vor Gericht wohl eng werden dürfte für Roth. So kam doch noch ein Vergleich zustande: Roth zahlt Hauptmann 1500 Franken, dieser zieht dafür seine Betreibung zurück.
Mit dem Resultat ist Hauptmann zufrieden, obwohl er 2000 Franken gefordert hatte. Zugleich zeigt er sich enttäuscht: «Wer weiss, wie viele Tausend Franken den Kollegen in Oberbüren schon flötengegangen sind!» Dass es sich um systematischen Missbrauch handle, bestreitet Roth vehement. HR-Chefin Sabrina Ross sagt auf Anfrage, der Aushang in Oberbüren sei «keine Anweisung» gewesen. Die Präsenz um 6 Uhr 15 sei nie ein Muss gewesen. «Wenn einer pünktlich um 6 Uhr 30 dasteht, ist alles tipptopp», versichert Ross.
ROTH HAT REAGIERT
Um Missverständnisse künftig zu vermeiden, habe man den fraglichen Aushang jetzt aber entfernt. Ausserdem betont Ross, dass es sich um eine lokale Angelegenheit gehandelt habe. In den schweizweit zwanzig Roth-Niederlassungen beginne die Arbeit nicht immer zur gleichen Zeit, aber immer im Rahmen des Gesamtarbeitsvertrags für den schweizerischen Gerüstbau.
*Name geändert