Andreas Rieger
Jetzt hat der Ministerrat der EU eine «Säule der sozialen Rechte» beschlossen. Sie beinhaltet zwanzig gute Grundsätze und Empfehlungen. Vom Recht auf einen Lohn, der zum Leben reicht, über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bis zum Recht auf berufliche Aus- und Weiterbildung. Aber all diese schönen Punkte sind leider nur Absichtserklärung. Die europäischen Gewerkschaften reagierten deshalb erst etwas ratlos. Für die einen war diese Absichtserklärung nur warme Luft, die von der Fortführung der bisherigen antisozialen EU-Politik ablenken soll. Die anderen sahen Anknüpfungspunkte für soziale Fortschritte.
Immerhin ist der EU-Führung unter Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bewusst geworden, dass die EU auseinanderbricht, wenn sie ihren 300 Millionen Bürgerinnen und Bürgern nicht zu Arbeit und sozialer Absicherung verhilft. Unter dem neoliberalen Juncker-Vorgänger Manuel Barroso baute die EU soziale Errungenschaften ab. Junckers Absichtserklärung ist, so gesehen, ein Fortschritt.
Zwanzig gute Grundsätze – leider nur als Absichtserklärung.
ERSTE FORTSCHRITTE. Schliesslich hat der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) reagiert, wie die Feministinnen jeweils am Muttertag reagieren, er sagte sinngemäss: «Danke für die Blumen, aber Rechte wären uns lieber.» Und legte gleich ein Aktionsprogramm zur Umsetzung der «Säule der sozialen Rechte» vor. Ganz unrealistisch ist diese Strategie nicht. In einzelnen Punkten ist die EU-Kommission bereit, verbindliche Rechte einzuführen. So möchte sie europaweit eine Mindestdauer von 16 Wochen für den bezahlten Mutterschaftsurlaub garantieren plus zwei Wochen Vaterschaftsurlaub. Das wäre immerhin mehr, als die Schweiz heute hat. Neu sollen die Arbeitnehmenden auch ein Recht auf einen schriftlichen Arbeitsvertrag bekommen. Auch das hat die Schweiz bisher nicht zustande gebracht.
Entweder werden nun die sozialen Verbesserungen umgesetzt, und die Leute bekommen wieder Hoffnung. Oder die Versprechungen bleiben leer. Das wäre dann «ein weiterer Nagel in den Sarg der EU», bringt es die irische EGB-Funktionärin Esther Lynch auf den Punkt.
Andreas Rieger ist Unia-Sekretär und vertritt den SGB im Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB).