Hinter jeder starken Frau steht eine starke Frau

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Hinter Barbie steht Gloria. Zumindest im Film von Greta Gerwig. Barbies Freundin sagt ­Dinge wie: «Es ist buchstäblich unmöglich, eine Frau zu sein.» Denn: «Du musst dünn sein, aber nicht zu dünn. Du musst Geld haben, es aber nicht verlangen. Du musst es lieben, Mutter zu sein, aber nicht die ganze Zeit über deine Kinder reden. Du darfst nie alt werden, nie unhöflich sein, nie angeben, nie egoistisch sein, nie hinfallen, nie versagen, nie Angst zeigen, nie aus der Reihe tanzen. Ich habe es einfach so satt, mir und jeder anderen Frau dabei zuzusehen, wie sie sich selbst verknotet, damit die Leute uns ­mögen.»

UNAUFHALTSAM

Wäre Gloria am 14. Juni auf die Strasse gegangen, hätte sie wohl «hässig» auf ihr Plastikschild geschrieben. Und hätte sich damit lediglich in der Beschaffenheit des Schildes von den mehr als hunderttausend Frauen aus Fleisch und Blut unterschieden, die an diesem Tag ihren Protest auf Kartonschildern manifestierten. Und was für Manifestationen! Unaufhaltsam rollt seit dem zweiten grossen Frauenstreik von 2019 die lila Welle: alle Jahre wieder kommt der 14. Juni. Wie Weihnachten oder der 1. Mai. Egal, ob die feministische Bewegung als tot, gespalten, unnötig oder nicht prioritär abgeschrieben wird. Oder als Party diskreditiert. Aber klar doch: Der Frauenstreiktag ist längst ein Feiertag, wenn auch kein offizieller.

HÄSSIG

«Jedes Jahr ist es wieder schön!» sagt eine Teilnehmerin. Es ist ein ­Wiedersehen mit der lila Familie zum grossen Fest. Die Stimmung ist kämpferisch und doch entspannt, beschwingt und bestimmt, witzig («Mir isch gschlächt!») und doch todernst («Ni una ­menos» – «Nicht eine weniger»). Zu Nemos «Code» erschallt der Grundsopran: «Wir sind hässig!» Das alleine ist schon ein Statement. Gelten doch hässige Frauen noch immer sehr schnell als hysterisch, unsachlich und inkom­petent. Bei Männern hingegen gilt Wut als ­kraftvoll und durchsetzungsstark. Wirklich sackstark sind zwei junge Akrobatinnen an der Demo, sie steht auf ihren Schultern, hält ein Schild in die Höhe: «Hinter jeder starken Frau steht eine starke Frau!»

IMMERWÄHREND

Der 14. Juni ist gekommen, um zu bleiben. So lange, bis alle verstehen, was Frauen wirklich wollen:

  • Mehr Lohn: «Close the Gap» (die Lohnlücke schliessen)! Noch immer verdient eine Frau über ihr ganzes Berufsleben gesehen 43,2 Prozent weniger als ein Mann.
  • Höhere Renten: «Mini Grossmueter büglet immerno»! Frauenrenten sind im Schnitt noch immer über einen Drittel tiefer als Männer­renten.
  • Aufwertung der «Frauenberufe»: «Milliarden für Care-Arbeit, nicht für Aufrüstung»! In Tieflohnbranchen wie der Kinderbetreuung, der Reinigung oder dem Gastgewerbe arbeiten noch immer überdurchschnittlich viele Frauen.
  • Respekt: «Wir wollen Taten statt Täter!» Alles andere ist verletzend bis tödlich. Noch immer wird in der Schweiz alle zwei Wochen eine Frau getötet, nur weil sie eine Frau ist.

Das sind nur 4 von 1001 Gründen, weshalb der feministische Streiktag Bestand haben wird, Bestand haben muss. Um in der lila Woge Kraft zu tanken für die restlichen 364 Tage im Jahr. Und weil es an diesem Tag ­möglich ist, einfach Frau zu sein.

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