EU-Tagung der Unia: Fünf Länder, ein Anliegen
Die Löhne schützen, nicht die Grenzen

LOHNSCHUTZ FIRST: (v.l.) Stefan Thyroke (Verdi), Tea Jarc (EGB), Bruna Campanello (Unia), Boris Plazzi (CGT) und Albert Scheiblauer (GBH).

In den Verhandlungen mit der EU kämpfen die Schweizer Gewerkschaften für den Lohnschutz und die Stärkung der flankierenden Massnahmen. Unterstützt werden sie dabei von den europäischen Gewerkschaften. Denn sie sind mit denselben Problemen konfrontiert. Und auch für sie steht viel auf dem Spiel.

LOHNSCHUTZ FIRST: (v.l.) Stefan Thyroke (Verdi), Tea Jarc (EGB), Bruna Campanello (Unia), Boris Plazzi (CGT) und Albert Scheiblauer (GBH).

Für Unia-Präsidentin Vania Alleva ist klar: «Wir müssen die Löhne schützen, nicht die Grenzen.» Das sagte sie an der EU-Tagung der Unia in Biel, an der rund 60 Personen teilnahmen. In den gegenwärtigen Verhandlungen mit der EU ist die Haltung der Gewerkschaften glasklar: Ja zu Abkommen mit der EU. Aber nur, wenn das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort eingehalten wird. 

Kurze Rückblende: 2018 gelang es den Gewerkschaften, ein sieben Jahre lang verhandeltes «institutionelles Rahmenabkommen» zu stoppen, das den Schweizer Lohnschutz geschrottet hätte. Deshalb sehen die Gewerkschaften auch das aktuelle Verhandlungsmandat kritisch, denn der Lohnschutz ist darin nicht gewährleistet. Die europäischen Gewerkschaften unterstützen die Schweizer Gewerkschaften in ihrem Kampf gegen Sozialdumping.

Transport: Menschenverachtende Branche

Österreich liegt vor Deutschland und Frankreich an erster Stelle, was die Anzahl entsandter Arbeiterinnen und Arbeiter angeht. Entsandte sind Arbeitnehmende, die von einem Unternehmen aus einem EU-Mitgliedstaat in ein anderes Land geschickt werden, um dort für das Unternehmen zu arbeiten. Albert Scheiblauer von der Gewerkschaft Bau und Holz in Österreich sagt, die hohe Zahl der Entsandten in Österreich liege auch an den niedrigen Mindestlöhnen in den umliegenden Ländern wie Slowenien, Ungarn und Polen. Das Hauptproblem dieser in Österreich meist auf dem Bau Beschäftigten: Überstunden, Zulagen, Spesen und Sonderzahlungen werden nicht oder zu gering bezahlt. Doch meist würden die Beschäftigten ihre Rechte nicht einfordern, sagt Scheiblauer. Denn «viele wissen nicht, was ihnen zusteht». Und zum Beispiel in Slowenien komme es oft zu Repressalien, sogar Morddrohungen, wenn sich Arbeiterinnen oder Arbeiter wehren.

Gewaltandrohungen kennt auch Stefan Thyroke von der deutschen Gewerkschaft Verdi. Er spricht von «menschenverachtenden Zuständen» im Transportsystem. Er berichtet vom Transportunternehmen Mazur, der streikende Lastwagenfahrer in Gräfenhausen mit einem Schlägertrupp in Panzerwagen bedrohte (work berichtete). Thyroke sagt: «Die Branche ist verkommen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Unternehmen die Chauffeure wieder als Menschen sehen und nicht ausschliesslich als Arbeitnehmende.»

Bei den meisten Chauffeuren brächten Kontrollen Probleme ans Licht, sagt Thyroke. So zum Beispiel bei einem Fahrer, den er in der Nähe von Madrid angetroffen hat. Dieser erklärte, er sei nach gefahrenen Kilometern bezahlt. Das bedeutet: je weniger Pause, desto mehr Geld. Der Fahrer wusste, dass das illegal ist. Doch sein Chef hatte ihm versprochen, dass er dafür an den Wochenenden zu Hause bei der Familie sein dürfe. Thyroke: «So entstehen Abhängigkeiten.» Ein grosses Problem sieht der deutsche Gewerkschafter im Fehlen eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags in der Logistik. Und erklärt:

Wenn ein Chauffeur in Polen losfährt, gilt für die ganze Fahrt der polnische Mindestlohn, egal, in welchem Land er sich gerade aufhält.

Ein weiterer Knackpunkt: die Weitergabe von Aufträgen. Das führt zu einem «Geschäftsmodell», in dem ein Anbieter nur dadurch Geld verdient, dass er den Auftrag an den nächstbilligen weitergibt.

Migration ist ein Menschenrecht

Boris Plazzi von der französischen Gewerkschaft CGT appelliert angesichts des Rechtsrutsches in Frankreich (work berichtete) an die Zusammenarbeit und Solidarität der Arbeitnehmenden. Denn sogar unter den Arbeitenden, die der CGT nahestehen, hätten 25 Prozent die extreme Rechte gewählt. Für Plazzi ist deshalb klar: Die Gewerkschaften müssen sich um die europäische Integration kümmern. Denn: «Wir sind Europäerinnen und Europäer, aber die EU ist kein soziales Projekt!» Plazzi fordert mehr Kontrollen, ein Verbot der Vertragsvergabe nach dem Kaskadenprinzip und mehr gewerkschaftliche Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinweg.

Ähnlich sieht es Tea Jarc vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB). Sie sagt:

Migration ist ein Menschenrecht. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Menschen unter würdigen Bedingungen arbeiten können.

Einen wichtigen Hebel gegen Sozialdumping sieht sie in der neuen EU-Richtlinie für Mindestlöhne. Damit müssten die Unternehmen untereinander in einen Wettbewerb von Produktivität, Qualität und Innovation treten und nicht über die Arbeitskosten. Das ist insbesondere für die Schweiz mit den vergleichsweise sehr hohen Löhnen zentral. Der EGB will auch eine strengere Regulierung der Vergabe von Unteraufträgen. Denn klar ist: je länger die Kette, desto schlechter die Arbeitsbedingungen. Jarc: «Die Arbeiter wissen oft nicht, an welche Firma sie sich wenden können. Aber sie haben das Recht zu wissen wo sie ihre Rechte einfordern können.»

Verhandlungen Schweiz–EU: Aktueller Stand

Unia-Geschäftsleitungsmitglied Bruna Campanello betont, dass die Durchschnittlöhne in der Schweiz dreimal höher sind als in der EU. Deshalb brauche es in der Schweiz stärkere Schutzmassnahmen als in der EU. Nicht nur für die Schweizerinnen und Schweizer, sondern für alle Arbeitnehmenden. Und sie bringt den Stand der Verhandlungen mit der EU-Kommission auf den Punkt: Eher positiv sieht sie, dass das System der Arbeitsmarktkontrolle (paritätische Kommissionen) akzeptiert ist. Die Kommissionen dürfen die Kontrolldichte eigenständig, aber verhältnismässig festlegen. Und es gibt eine «Non-Regression-Klausel»: Die Schweiz muss in Zukunft keine wesentlichen Verschlechterungen der Rechte der Arbeitnehmenden übernehmen. Dem gegenüber stehen allerdings gewichtige Negativpunkte:

  • Knackpunkt Spesen gemäss Herkunftsland. Hier geht es schnell mal um 1000 bis 3000 Franken pro Monat, die den Entsandten fehlen.
  • Übernahme EU-Entsenderichtlinie: Massnahmen müssten grundsätzlich «verhältnismässig» sein. Was das heisst, entscheidet oft der arbeitgeberfreundliche Europäische Gerichtshof (EUGH). Es ist somit unsicher, ob Sanktionen weiterhin so akzeptiert werden.
  • Klare  Verschlechterungen gibt es bei bei der Voranmeldefrist (4 Arbeits- statt 8 Kalendertage), bei der Kaution im Widerholungsfall und bei den Dienstleitungssperren durch die Kantone.

1 Kommentare

  1. Zarije Zenuni Bajrami 2. Juli 2024 um 11:53 Uhr

    Liebe Präsidentin der Unia, deine Stime ist wichtig gegen Armut, für Migrantinnen und für alle alle anderen im Land!
    Ein Lohn zum Leben ist ein Menschenrecht. Braovo Präsidentin! 👑💪

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