Ab Locarno fährt derzeit kein Schiff mehr. Die gesamte Schweizer Belegschaft der Schifffahrtsgesellschaft ist in den Streik getreten.
Streik Ahoi: Zornige Matrosen an der Schifflände in Locarno. (Foto: TI-Press)
«Das ist nicht irgendein Job», sagt Kapitän Antonio Corti*, «das ist unser Leben. » Seit 35 Jahren fährt er auf dem Lago Maggiore. Jetzt soll plötzlich Schluss sein: Er hat die Kündigung erhalten. Auf Ende Jahr. Zusammen mit 33 Kolleginnen und Kollegen. Das ist die gesamte Schweizer Belegschaft der «Navigazione Lago Maggiore» (NLM).
Die Seeleute wollen das nicht hinnehmen. Seit letztem Sonntag streiken sie. Der Termin hat einen Grund, sagt Corti: «Am Samstag fand auf dem See eine Hochzeit statt. Die wollten wir nicht durch unseren Arbeitskampf ins Wasser fallen lassen.»
WIE DER VATER
Für die Angestellten geht es um alles. Viele von ihnen sind über 50 Jahre alt. Unia-Mitglied Corti sagt: «Wir haben unser Leben auf dem See verbracht.» Schon sein Vater arbeitete auf dem Schiff, 40 Jahre lang. Als Bub fuhr Antonio mit dem Vater mit, wenn er freihatte. Und mit 16 fing er selber als Matrose an. Seither kennt er nichts anderes.
Und auch seine beiden Söhne wollten früher Kapitän werden, wie der Vater und der Grossvater. Corti: «Ich sagten ihnen damals, sie sollten gescheiter etwas anderes lernen.» Heute ist er froh, dass sie auf ihn gehört haben. Sonst hätten auch sie jetzt die Stelle verloren.
SCHLIMMER VERDACHT
Die 34 Entlassenen arbeiten auf dem Schweizer Teil des Lago Maggiore. Die NLM, ein italienischer Staatsbetrieb, will diese Strecken ab nächstem Jahr nicht mehr selber betreiben, sondern dafür eine Tochtergesellschaft mit der Schifffahrtsgesellschaft des Lago di Lugano (SNL) bilden. Völlig unklar ist aber, wer dann die Schiffe steuern und die Billette verkaufen soll. Auf Anfrage von work schreibt Gian Luca Mantegazza von der NLM, solche «Details» seien noch nicht festgelegt.
«Das ist ein Manöver, um die Löhne zu drücken.»
Enrico Borelli von der Unia Tessin hat einen schlimmen Verdacht: «Das Ganze ist ein Manöver, um die Löhne massiv zu drücken.» Denn bei der SNL, einer privaten Firma, verdienen die Angestellten viel weniger als auf dem Lago Maggiore. Borelli: «Der Lohnunterschied beträgt mehr als tausend Franken pro Monat.» Seine Befürchtung: Die neue Gesellschaft werde Leute zu den schlechteren Bedingungen der SNL einstellen. Klassisches Lohndumping.
Solidaritäts-Demo am Samstag
Die Streikenden laden Bevölkerung sowie Touristinnen und Touristen ein, ihre Solidarität an einer Demonstration zu zeigen. Geplant ist eine «farbenfrohe Demo, offen für alle, auch für Familien », am Samstag, 1. Juli, bei der Schiffsstation Locarno. Ab 12 Uhr gibt es ein gemeinsames Mittagessen, die Demo startet um 14 Uhr.
NLM schreibt dazu zwar, die Löhne anderer Schifffahrtsgesellschaften hätten mit der aktuellen Entlassung nichts zu tun. Doch für Gewerkschafter Borelli ist klar: «Mit ihrem Streik tun die Seeleute aktiv etwas gegen das Lohndumping im Tessin.»
«SIAMO SOLIDALI»
Mut macht den Streikenden der Rückhalt in der Bevölkerung. Der sei «unglaublich», sagt der Unia-Sekretär Gianluca Bianchi, der in diesen Tagen meistens am Streikposten an der Schifflände Locarno anzutreffen ist. «Einheimische und Touristen kommen, setzen sich zu uns, unterstützen uns.» Die Seeleute haben Bücher aufgelegt, in die sich Besucher eintragen können. Der häufigste Satz: «Avete ragione, continuate con lo sciopero, siamo solidali – ihr habt recht, streikt weiter, wir sind solidarisch! »
* Name geändert
Vor fünf Jahren: Mit Erfolg gekämpft
Die Vergangenheit gibt den Seeleuten vom Lago Maggiore Hoffnung. Denn schon 2012 sollten acht von ihnen, alles Saisonniers, die Stelle verlieren. Grund damals: Sparmassnahmen.
WELLE. Doch dann erfasste eine Welle der Solidarität das Tessin. In nur zwei Wochen kamen 10 000 Unterschriften gegen die Entlassungen zusammen. Einheimische und Touristen unterzeichneten die Petition. Volle Unterschriftenbogen kamen aber auch von lokalen Geschäften, Baustellen, Restaurants. Die Unia, die Verkehrsgewerkschaft SEV und die Tessiner OCST unterstützten die Aktion. Der Widerstand zahlte sich aus: Rund einen Monat später nahm die NLM die Sparmassnahmen für die Schweiz zurück und stellte die acht Saisonarbeitskräfte wieder ein. (che)