Absurdes Theater um eine nationale Erbschaftssteuer
Der Sommer der Gränni-Milliardäre

Weil die Juso eine nationale Erbschaftssteuer für Vermögen über 50 Millionen Franken verlangen, heulen Milliardärinnen und Milliardäre öffentlich rum. Und die Medien reichen ihnen eilfertig die Nastüechli. Ein paar Zahlen und Fakten zu diesem Sommertheater.

WAS FÜR EIN THEATER! Man könnte fast meinen, die Gränni-Milliardäre sind für die Regentage in diesem Sommer verantwortlich. (Montage: work)

Während die Kaufkraft von Millionen Lohnabhängigen, Rentnerinnen und Rentnern seit Jahren sinkt, werden die Superreichen immer reicher. Die 300 Reichsten im Land besitzen zusammen 795 Milliarden Franken. Allein die 10 Reichsten besitzen 210 Milliarden. Es gibt halt auch bei den Reichsten reichere und ärmere. Die Reichsten-Rangliste des Wirtschaftsmagazins «Bilanz» erscheint seit über 3 Jahrzehnten. 99,9967 Prozent der in der Schweiz lebenden Menschen werden es nie schaffen, darin vorzukommen. Nicht, weil sie dumm und faul wären. Sondern, weil das System es nicht vorsieht. Denn die Mehrheit der Vermögen sind entweder geerbt oder erspekuliert. Darum haben die wenigsten Menschen in der Schweiz ein nennenswertes Vermögen. Die Steuerstatistik des Bundes zeigt es Jahr für Jahr, mit einiger Verspätung zum jeweiligen Steuerjahr.

Warum 99 Prozent nie reich werden

Das Reinvermögen der reichsten 10 Prozent der Schweizer Steuerpflichtigen war 2019 mehr als drei Mal so hoch wie das Reinvermögen der restlichen 90 Prozent zusammen. Wie die Einkommensungleichheit hat auch die Vermögensungleichheit in den letzten Jahren zugenommen. 

2003 besassen 3 Prozent der Bevölkerung die Hälfte aller Vermögen. 2019 waren es nur noch 1,6 Prozent. Das heisst: Diese 1,6 Prozent der Steuerpflichtigen besitzen gleich viel wie die übrigen 98,4 Prozent zusammen. Über die Hälfte der Erwachsenen besitzen gar kein steuerbares Vermögen, sind verschuldet oder haben nur wenige Ersparnisse. Im Durchschnitt ergibt dies für 55 Prozent der erwachsenen Bevölkerung nur rund 7500 Franken Vermögen.

Der Teufel und die Erben

Der Volksmund weiss es und formuliert es derb: «Der Teufel scheisst immer auf den gleichen Haufen.» Hans Kissling, Ökonom und langjähriger Chef des Statistischen Amtes des Kantons Zürich, sah die Schweiz wegen der zunehmenden Anhäufung und Vererbung von Megavermögen auf dem Weg in eine Plutokratie, in eine Herrschaft der Reichen. Und er verglich die milliardenschweren Familienclans mit «mittelalterlichen Fürsten». Diese Entwicklung hat sich seither noch verschärft. Dem Feudalismus hatten die politischen Urahnen der FDP einst den Kampf angesagt – und den Garaus gemacht. Alles längst Geschichte. Dem neuen Feudalismus des Finanzkapitals will der gegenwärtige FDP-Präsident Thierry Burkart gar das feudalistische Institut der «Familienstiftung» wieder bereitstellen. Und es damit den Megareichen ermöglichen, dafür zu sorgen, dass «das eigene Vermögen unter allen Umständen in der Familie bleibt und dass nur die eigenen Nachkommen davon profitieren können, am besten noch steuerlich optimiert».  So formulierte es die Urner Ständerätin Heidi Zgraggen – und stimmte dagegen (work berichtete).

Die Juso und die Erben

Da die FDP ihr ideologisches Erbe verraten hat, sprangen in der Vergangenheit immer mal wieder fortschrittliche Kreise in die Lücke und postulierten eine nationale Erbschaftssteuer. Vor dem Volk waren sie immer chancenlos. Jetzt versuchen es die Juso mit einer Initiative, die gleich zwei zentrale Probleme angeht: die vererbten Megavermögen und die enormen Kosten zur Bekämpfung der Klimaerhitzung und ihrer Folgen. Der Juso-Vorschlag auf den Punkt gebracht: Erbschaften ab 50 Millionen Franken werden mit 50 Prozent Erbschaftssteuer belegt. Es geht also nicht um das Haus der Eltern oder die Briefmarkensammlung, es geht auch nicht um die Garage oder die Apotheke oder das Sanitärgeschäft. Nicht um die vielen KMU, die das Rückgrat der Wirtschaft sind. Es geht um die Vermögen der Schweizer Oligarchen.

BONZEN SOLLEN ZAHLEN. Erbschaftssteuer-Initiative der Juso schlägt hohe Wellen. (Foto: keystone)

Die Einnahmen aus der Besteuerung der Mega-Vermögen sollen für den öko-sozialen Umbau eingesetzt werden. Diese Verknüpfung ergibt Sinn. Denn die Reichen und Reichsten sind mit ihrem verschwenderischen Lebensstil auch überproportional verantwortlich für die Klima-Erhitzung. 

Wenn Leistung nicht zählt

Der Steuersatz von 50 Prozent tönt nach einer grossen Schuhnummer. Doch im Vergleich, was die Freie Demokratische Partei Deutschlands einst vorschlug, ist die Juso-Forderung schon fast wieder ein Kinderfinkli. 1971 verlangte die deutsche FDP auf dem Bundesparteitag eine Erbschaftssteuer von bis zu 75 Prozent. Urliberale Begründung: Für den wirtschaftlichen Erfolg soll die persönliche Leistung zählen. Wenn immer grössere Vermögen vererbt werden, wird die Herkunft zum bestimmenden Faktor. Das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit wird damit untergraben und die Marktwirtschaft in Frage gestellt.

Die Juso-Initiative kommt in den nächsten Monaten in die parlamentarische Mühle. Dort ist es den Bürgerlichen unbenommen, einen griffigen Gegenvorschlag zu formulieren oder mitzutragen, wenn sie die Juso-Initiative tatsächlich einfach nur «unsorgfältig» oder «zu radikal» formuliert finden, das Problem aber erkannt hätten. Doch Zweifel daran sind angebracht.

Speerspitze Spuhler

Schon bevor die Initiative überhaupt behandelt wird, starteten die Blätter aus den Verlagen TX und Ringier eine wuchtige Kampagne dagegen. Beide Häuser gehören Erbinnen und Erben, und beide verdienen ihre Dividenden schon längst nicht mehr mit Journalismus oder Derivaten davon, sondern mit digitalen Marktplätzen. Diese haben sie zwecks Profitmaximierung in eine gemeinsame Firma eingebracht und hoffen auf einen Milliarden-Börsengang.

IST ER JETZT AM TÖIPELEN? Peter Spuhler droht mit Auswanderung. (Foto: keystone)

Nach einigen eher kraftlosen Geschichtli langte die «Sonntagszeitung» Anfang Juli richtig zu. Im Interview sagte Stadler-Rail-Chef Peter Spuhler: «Die Juso zwingen mich zum Auswandern.» Unmöglich könnten seine Erben diese Erbschaftssteuer bezahlen. Das Zitat sass und drehte in den Aargauer und Zürcher Zentralredaktionen seine Runden. Und tatsächlich war Spuhler keine schlechte Wahl als Speerspitze der Anti-Erbschaftssteuer-Kampagne. Spuhler hat aus einem Ostschweizer Budeli einen Milliardenkonzern geschaffen. Nicht geerbt, nicht erspekuliert, sondern erarbeitet. Er ist ein Macher. Er weiss, dass er Arbeiterinnen und Arbeiter braucht, die respektvoll behandelt werden sollten, und er hat mit der Unia einen GAV abgeschlossen. Spuhler ist ein Vertreter des Werkplatzes, ein Chrampfer, kein Spekulant. Ihm nehmen wir Bedenken um die Ausgestaltung der Initiative am ehesten noch ab.

Jammeri-Erben

Was die Zürcher Journalistinnen und Journalisten nach Spuhler noch an jammernden Milliardärinnen, Milliardären und Mehrfachmillionären präsentierten, wirkte eher wie ein Beweis der Dringlichkeit einer kraftvollen Erbschaftssteuer. Es jammerten und drohten zum Beispiel: 

• Magdalena Martullo-Blocher, SVP-Nationalrätin und Milliardenerbin

• Simon Michel, FDP-Nationalrat und Milliardenerbe

• Thomas Matter, SVP-Nationalrat und Millionenerbe 

Alles Leute, deren erste und wichtigste Qualifikation für ihren Superreichtum es ist, aus einem goldenen Schoss gepresst worden zu sein. Ausgerechnet sie heulen den restlichen 99 Prozent der Menschen im Land vor, wie ungerecht es doch wäre, wenn sie ihren ererbten Reichtum nicht möglichst unversteuert ihren Kindern weitergeben könnten. Deren erste und wichtigste Qualifikation zum Superreichtum übrigens ebenfalls die ist, aus einem goldenen Schoss gepresst worden zu sein. 

Erstes Ziel erreicht

Die Idee hinter diesem Sommertheater der Gränni-Milliardäre dürfte sein, mit der Juso-Initiative auch gleich die Themen Vermögensverteilung und Re-Feudalisierung der Schweiz vom Tisch zu haben. 

Eine Prognose sei gewagt, weil sie gar nicht gewagt ist: Dieser Schuss ist nach hinten losgegangen. Die beiden Themen haben dank den drohenden und jammernden Martullos, Michels & Co. erst recht an öffentlicher Aufmerksamkeit gewonnen. In einer Zeit, in der Hunderttausende sich von ihren Löhnen und Renten immer weniger kaufen können, wächst ein anderes Bewusstsein für Verteilungsgerechtigkeit. Das hat die Abstimmung über die 13. AHV eindrücklich gezeigt. Und das macht die oberen Zehntausend offensichtlich ziemlich nervös.

1 Kommentare

  1. Gery Mueller 17. Juli 2024 um 18:20 Uhr

    Nun, ich bin eigentlich der Meinung, man sollte viel dringender die Vermögenssteuern der Superreichen endlich nach oben anpassen. DA ist dringenster Handlungsbedarf und eine grössere Erfolgschance, an der Urne auch wirklich zum Erfolg zu kommen. Und Initiativen, die an der Urne nicht zum vorn herhein ,absegeln’, sollten von der SP lanciert werden und nicht von der Juso. Dieses Label ist einfach leider wenig erfolgsversprechend.

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