Rebellion in der Luxus-Hotellerie in Frankreich
«Wir haben viel zu lange geschwiegen!»

In Marseille haben 15 Zimmerfrauen einer Edelherberge mehr als zwei Monate lang ihre Arbeit niedergelegt. Ein harter und populärer Streik.

VIEL LÄRM UM VIEL: Mit Töpfen und Kochlöffeln bezwingen die Zimmerfrauen von Marseille den US-Hotel-Riesen Radisson. (Foto: ZVG)

Wer im Juni oder Juli über den Alten Hafen von Marseille flanierte, konnte frohen Lärm vernehmen. Das Pfannenschlagen, die Sprechchöre und Lieder im touristischen Tumult ­kamen von einem Streikpikett: 15 Zimmerfrauen des Luxushotels Radisson Blu waren 69 Tage lang im Ausstand. Auf ihrem Trans­parent stand: «Stop Ausbeutung. Stop Unterakkord.». Sie hatten ihren Zeitpunkt günstig gewählt. In der Marina von Marseille wurden die olympischen Segel- und Kitewettbewerbe ausgetragen, neben Touristen verlangten Horden von Sportfunktionären mit satten Spesenkonten nach weichen (Doppel-)Betten.

BELÄSTIGUNG UND MACHTMISSBRAUCH

Vier Nächte kosten in dem Viersternehaus ab 2432 Euro (Rabattangebot für Mitte September). Die Zimmerfrauen tragen 1000 bis 1200 Euro monatlich nach Hause, je nachdem, wie gut das Hotel belegt ist. Für einen stressigen Job, der in die Knochen geht. Ansmina Houmadi ist ihre Sprecherin:

Wir haben viel zu lange geschwiegen. Manche von uns haben sich kaputtgearbeitet. Jetzt lösen sich die Zungen.

Neuerdings ist die Vertrauensfrau der Gewerkschaft CNT der Kurzaufenthalter-Etage zugeteilt, wo etwa Piloten nächtigen. Sehr anstrengend: Die Zimmer müssen dort jeden Tag unter Zeitdruck vollständig neu zugerichtet werden. Gutgeschrieben werden ihr nur 25 Wochenstunden, insgesamt für 1080 Euro.

Am 31. Juli feierten die Frauen des Radisson ihren Sieg. Julien Ollivier von der autonomen Gewerkschaft CNT-SO sagt: «Es war ein sehr langer, sehr harter und offensiver Streik.» Ein populärer noch dazu: Von Passantinnen kam viel Zuspruch, manche Kunden haben sich mit den Streikenden solidarisiert, die Sreikkasse füllte sich so schnell, dass keine der Reinigerinnen in ihrem Kampf einen Euro verlieren dürfte.

Lohn war das eine Motiv der Arbeitsniederlegung, erklärt Houmadi. Aber auch Kurzarbeitsverträge, Überstunden, Belästigungen und Machtmissbräuche der Gouvernanten. Doch der unmittelbare Auslöser des Streiks war die «Mobilitätsklausel»: Die Zimmerfrauen durften jederzeit zum Dienst in andere Hotels abkommandiert werden – oft nur Minuten vor dem Arbeitsbeginn. So lassen sich ein Fami­lienleben und die (langen) Arbeitswege kaum organisieren.

ÜBERWACHUNG

Die Marseiller Frauen haben sich mit einem Riesen angelegt. Radisson Blu ist eine der vielen Filialen des US-Konzerns Radisson, der 435 Hotels in 61 Ländern betreibt und mehr als 100 000 Zimmer feilhält. Dieser Konzern wie­derum gehört zum Carlson-Konglomerat, das seinerseits von der chinesischen Finanzholding Jinjiang International kontrolliert wird. Kapitalismus im Jahre 2024, das sind Schachtelbeteiligungen, anonyme Besitzer und lange Unterakkordanten-Ketten: Radisson Blu hatte durch den Streik zwar ein Management- und Imageproblem, aber die 15 rebellierenden Frauen waren gar nicht bei Radisson im Lohn, sondern bei einem Unter-Unternehmen namens Acqua. Auf seiner Internetseite wirbt Acqua mit «Expertise in der Hotelreinigung», vor allem aber mit der «Flexibilität» und der biometrischen Überwachung seiner Angestellten.

Den Hotelkonzernen garantiert dieses Modell maximalen Profit. Die Löhne der Arbeitenden können gedrückt werden, und sie werden auf Abruf, also nur bei Bedarf, bezahlt, bei ­immer schärferen Arbeitsfrequenzen. Andere Branchen, sogar öffentliche Unternehmen, nutzen dieselbe Strategie. Gegen diese Verelendung der Arbeit, die oft von migrantischen Frauen geleistet wird, wächst der Widerstand. Gerade in der Hotellerie. Allein in Marseille gab es über die vergangenen acht Jahre sechs Streiks der Zimmerfrauen.

EINE HELDIN AUF DEM STREIKPIKETT

Am 3. Juni bekamen die Kämpferinnen des Radisson Blu auf ihrem Streikpikett Besuch von einem Vorbild: Die linke Abgeordnete Rachel Kéké brachte ihre Unterstützung. Kéké hatte als Gouvernante den längsten Zimmerfrauen­streik der Geschichte angeführt, in einem Pariser Ibis-Hotel. Sie hielten 22 Monate stand und gewannen (work berichtete).

Am Ende lenkte nun auch Radisson Blu in Marseille ein. Die Mobilitätsklausel gilt künftig höchstens für drei Tage pro Monat. Die Reinigerinnen bekommen einen 13. Monatslohn, ein Novum in der Branche. Der Stundenlohn wird um 11 Centimes erhöht – auf 12,41 Euro. Die Trauben hängen hoch in der Luxushotellerie.

Ausgestanden aber ist nichts. Die Zimmerfrauen mussten dieser Tage zum Verhör auf die Polizeiwache: Der Radisson-Konzern hat Klage erhoben. Wegen Sachbeschädigung und Kundenbelästigung. Juristische Einschüchterung gehört zu den üblichen Waffen des Kapitals. Wie das Lokalblatt «La Marseillaise» schreibt, verhielt es sich wohl gerade umgekehrt: Die Zimmerfrauen mussten durch Sicherheitspersonal vor zwei Hotelkunden beschützt werden, die ihnen mit Gewalt das Streik-Transparent entreissen wollten.

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