Rechts blinken, links abbiegen

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Die Schweiz wählt mehrheitlich rechts. Das zeigt sich an der mal mehr, mal weniger deutlichen rechtsbürgerlichen Mehrheit im Bundesparlament. Und wenn immer mal wieder das «linke Parlament da oben in Bern» an allem Übel im Land schuld sein soll, dann ist das schlicht Unsinn. Die Schweiz hatte in den 176 Jahren ihres Bestehens noch nie eine linke Mehrheit im Parlament, geschweige denn in der Regierung.

ERKLÄRSALAT

Wenn jetzt diese rechtsbürgerliche Mehrheit zum dritten Mal in diesem Jahr eine schallende Ohrfeige kassiert, dann liegt das nicht an der Parteiaffinität der Stimmberechtigten. Das «Asyl-Chaos» (SVP-Dettling) ist nicht schuld am rechten Abstimmungs­desaster und auch nicht die «Angstmacher-Kampa­gne von linker Seite» (FDP-Sauter). Und es lag auch nicht daran, dass die jüngste Vorlage zur BVG-Reform zu «kompliziert» war.

Das System der beruflichen Vorsorge ist tatsächlich kompliziert, und davon profitieren in erster Linie die Versicherungskonzerne. Eine Mehrheit der Stimmberechtigten (und übrigens 70 Prozent der SVP-Basis) hat aber offensichtlich sehr gut verstanden, worum es in der Vorlage wirklich ging: mehr Geld für die Versicherer, weniger im eigenen Sack.

PURZELBÄUME

Die Reform-Befürworter haben sich ihre Kampagne von der Finanzbranche teuer bezahlen lassen. Und gleichzeitig argumentativ überraschende Purzelbäume geschlagen: Die SVP plädierte für Gleichstellung, die FDP für Tieflöhner. Suche den Fehler! SVP-Chef Marcel Dettling entdeckt die Frauen, FDP-Präsident Thierry Burkart sorgt sich um jene Menschen, die «am Morgen den Wecker stellen und arbeiten gehen müssen». Ihnen solle man nicht das Geld aus dem Sack ziehen. Mütter zählt er aber offenbar nicht dazu.

Herr Dettling, 71 Prozent der Frauen wollten diese BVG-Reform nicht. Weil sie verstanden haben, dass sie sie keinen Schritt weiter bringt in Sachen Gleichberechtigung. Auch deshalb, weil Ihre Partei an einem Rollenbild festklebt, das an Geschichtsklitterung grenzt. Und, Herr Burkart, wann haben Sie zuletzt mit einer Person gesprochen, die von frühmorgens bis spät arbeitet und trotzdem immer weniger Geld im Sack hat? Das wäre doch mal was.

LIEBER LINKS

Das hätten Sie, warum nicht zusammen mit Herrn Dettling, am 21. September auf den Berner Strassen machen können. Rund 15 000 Menschen hätten Ihnen gerne erklärt, was es heisst, für immer weniger Lohn immer mehr zu chrampfen, mit oder ohne Wecker am Morgen. Aber der Besuch einer Gewerkschaftsdemo steht wohl eher nicht in Ihrer Agenda. Eigentlich schade, die Diskussionen wären bestimmt angeregt verlaufen.

Da hätten Sie zum Beispiel erfahren, dass Snježana für ihren 100-Prozent-Job als Verkäuferin 4420 Franken verdient, brutto. Kein Wunder, finden Menschen wie sie einen Rentenverlust von 12 Prozent inakzeptabel. Oder Sie hätten mit Matthias sprechen können. Er ist der Meinung, dass in diesem «Dreckssystem nur die wenigsten profitieren, während sich die anderen zu Tode ackern». Oder mit Lea, die sich für höhere Löhne in der Pflege einsetzt, einer Branche, in der hauptsächlich Frauen arbeiten.

Nicht unbedingt Ihre Klientel, klar. Aber vielleicht hätte es Ihnen die Antwort erleichtert, wieso Menschen Ihre Parteien zwar wählen, aber in Sachen Renten doch lieber der linken Minderheit vertrauen.

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