Amazon macht seine Angestellen krank. Doch die deutsche Gewerkschaft Verdi hält dagegen. Wie das geht, erklärt Verdi-Mann Thomas Voß.
STRESSIGE ARBEIT: Eine Mitarbeiterin des Onlinehändlers Amazon sucht Waren für den Versand im Logistikzentrum im deutschen Leipzig (Sachsen). (Foto: DPA)
work: Der «Black Friday» war für Sie ein guter Tag. Amazon konnte erst verspätet ausliefern. Was haben Sie getan?
Thomas Voß: Amazon musste am «Black Friday» die Kundschaft informieren, dass sie erst später liefern können. Natürlich sagten sie nichts vom Streik. Aber an diesem Tag nahmen 2400 Beschäftigte an Streikaktionen teil. Auch jetzt finden Streiks abwechslungsweise in allen sechs Verteilzentren statt. Wir verfolgen da eine flexible Streiktaktik, die auf Amazon zugeschnitten ist. In allen Zentren gibt es Streikleitungen im engen Kontakt mit den Tarifkommissionen. Wir sind in der Lage, am gleichen Tag über einen Streik zu entscheiden und ihn durchzuführen. So sind wir unberechenbar und dadurch wirksam geworden.
Und wie reagiert «Goliath Amazon» auf «David Verdi»?
Sie verdoppeln im Weihnachtsgeschäft die Beschäftigtenzahl mit kurzfristigen Saisonkräften, um Ausfälle zu ersetzen und rechtzeitig liefern zu können.
Thomas Voß ist bei der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zuständig
für den Versand- und Onlinehandel. Er koordiniert den Arbeitskampf bei Amazon. (Foto: ZVG)
Müssen Streikende die Entlassung fürchten?
Nein, das geht bei unserer Rechtslage in Deutschland nicht. Streiken ist ein Recht der Arbeitnehmenden. Man kann sie nicht einfach rauswerfen. Wir achten darauf, Streiks stets legal durchzuführen.
Sie bestreiken Amazon jetzt schon seit vier Jahren. Trotz allem ist es bis jetzt nicht gelungen, Amazon an den Verhandlungstisch zu bekommen. Warum nicht?
Der Druck ist noch nicht gross genug. Das liegt daran, dass erst ein kleinerer Teil der Beschäftigten bei uns gewerkschaftlich organisiert ist. Wir haben aber Standorte, wo 60 Prozent der Beschäftigten Mitglied von Verdi sind. Im Schnitt sind es mehr als ein Drittel. Eine Ursache ist auch, dass Amazon mit befristeten Verträgen operiert.
Wer angestellt wird, hat den Job nicht auf sicher?
Nein. Neuangestellte erhalten lediglich einen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertag. Danach verspricht Amazon ihnen bei guter Leistung die Chance auf eine unbefristete Anstellung. Aber das ist wie die Möhre vor der Nase des Esels. Spätestens nach zwei Jahren sind viele Arbeiter und Arbeiterinnen schon ausgelaugt.
Amazon ist extrem gewerkschaftsfeindlich. Wie merken Sie das?
Amazon bekämpft Gewerkschaften mit subtilen Methoden. Sie haben sich schon gegen die Gründung von Betriebsräten gewehrt. Solche passten nicht zum Geschäftsmodell des Unternehmens, hiess es. Jetzt versuchen sie, durch arbeitgebernahe Listen die Wahlen zu beeinflussen, damit schwache Betriebsräte entstehen. Oder sie machen durch Klagen gegen Wahlen Betriebsräte handlungsunfähig. Bei Personen, die sich gewerkschaftlich engagieren, lässt man die Arbeitsverträge diskret auslaufen.
Also geht es beim Arbeitskampf gegen Amazon nicht nur um den Lohn?
Es geht nicht darum, zwei oder vier Cent mehr pro Stunde herauszuholen. Es geht darum, dass Amazon die Tarifpartnerschaft (Sozialpartnerschaft, Red.) nicht anerkennt. Sie wollen alleine bestimmen und sehen Gewerkschaften nur als Störfaktor an. Wir wollen, dass Amazon dem Tarifvertrag (Gesamtarbeitsvertrag, Red.) des Einzelhandels unterliegt und die Arbeitnehmer auch von den riesigen Gewinnen profitieren. Und wir wollen bessere Arbeitsbedingungen.
Wie schlecht sind die denn?
Amazon hat weit überdurchschnittlich hohe Krankheitsquoten. Die monotone Arbeit an den Regalen mit langen Laufwegen, kurzen Pausen und hohem Leistungsdruck ist gesundheitsgefährdend. Das erzeugt massiv physische und psychische Probleme. Wir haben Amazon aufgefordert, mit uns einen Tarifvertrag «Gute und gesunde Arbeit» abzuschliessen. Doch auch dies haben die Verantwortlichen abgelehnt.
Bewegt sich der Konzern nicht?
Doch. Einen Tarifvertrag haben wir zwar noch nicht erreicht. Aber es gibt dank den Streiks inzwischen Lohnerhöhungen. Das gab es vorher nicht.
Was verdient man bei Amazon?
Der Einstiegslohn reicht von 10,50 bis 11,20 Euro (12.20 bis 13 CHF, Red.). Nach zwei Jahren sind es 12,20 bis 13,55 Euro (14.20 bis 15.80 CHF, Red.). Davon kann man in Deutschland mehr schlecht als recht leben. Auf jeden Fall reicht es nach vierzig Jahren Arbeit nicht für eine auskömmliche Rente. Der Staat muss dann zuzahlen. Das heisst, die Steuerzahler subventionieren das schlechte Lohnmodell von Amazon. Darin liegt der eigentliche Skandal.
Wie lange dauert es noch, bis Amazon bereit ist zu verhandeln?
Das kann ich nicht sagen. Aber ich denke, wir werden es schaffen.
Onlinegigant: US-Konzern Amazon
1994 in Seattle als Buchversand gegründet, ist Amazon heute der grösste Onlinehändler der Welt. Das börsennotierte Unternehmen macht 136 Milliarden Dollar Umsatz und beschäftigt weltweit 542 000 Arbeitnehmende. Amazon verkauft nicht nur Bücher, sondern auch Elektronik, Lebensmittel und womöglich bald auch Medikamente.
SCHÄBIG. In der Schweiz, wo Amazon keine Verteilzentren besitzt,
liegt der Konzern im Onlinehandel hinter Digitec und Zalando auf dem dritten Platz. Amazon ist berüchtigt für miese Löhne, hohe Ausbeutung der Angestellten und eine gewerkschaftsfeindliche Haltung. Ausserdem spart der US-Konzern Millionen an Steuergeldern durch Gewinnverschiebungen.