Unia-Vizepräsidentin Véronique Polito erklärt, warum ein Nein am 24. November so wichtig ist
«EFAS ist eine tickende Zeitbombe!

Am 24. November stimmen wir über EFAS ab, die «Einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen». Die Gewerkschaften haben dagegen das Referendum ergriffen. work fragte bei Unia-Vizepräsidentin Véronique Polito nach, warum die Unia gegen die vorliegende EFAS-Vorlage ist. 

Unia-Vizepräsidentin Véronique Polito. (Foto: Unia)

work: Wenn es geht Krankheiten und Unfälle lieber ambulant als stationär behandeln und alle Behandlungen aus dem gleichen Topf finanzieren. Das tönt doch gut. Warum sind die Gewerkschaften trotzdem gegen EFAS?

Véronique Polito: Die Absicht ist tatsächlich gut. Doch leider verfehlt die vorliegende Reform ihr Ziel komplett! Und vergrössert die Probleme für Prämienzahlende, Kranke, Pflegebedürftige noch.

Das müssen Sie erklären.
In aller Kürze: EFAS bringt keine echte Steuerungsmechanismen, die erlauben würden kostengünstigere ambulanten Behandlungen tatsächlich zu fördern, sondern verschiebt einfach Kosten von den Kantonen zu den Prämienzahlenden. Die Reform macht Versprechen, die sie nicht einlösen kann.

Sie reden vom Einbezug der Langzeitpflege.
Genau, das ist die grösste in EFAS eingebaute Falle. Heute ist die Beteiligung der Versicherer und die der Leistungsempfänger an der Finanzierung der in Heimen und von der Spitex erbrachten  Pflegeleistungen nach oben begrenzt. Die verbleibenden Kosten müssen von den Kantonen getragen werden. Heute übernehmen die Krankenkassen 54 Prozent der Kosten und die Kantone 46 Prozent. EFAS will den Anteil der Kantone auf 27 Prozent senken und der Anteil der Krankenkassen auf 73 Prozent steigern. Die Erhöhung der Beiträge der Krankenkassen an die Langzeitpflege bedeutet aber nichts anderes, als dass die unsozialen Kopfprämien in der Krankenkasse noch mehr steigen werden. Das ist eine tickende Zeitbombe, die die Haushaltsbudgets definitiv sprengen wird.

Die EFAS-Befürworterinnen und -Befürworter versprechen aber Einsparungen.
Es kann viel versprochen werden. Doch die Fakten und die Erfahrungen sprechen eine andere Sprache. Bei einem Ja zu EFAS steigt der Anteil von Prämiengeldern an den Pflegekosten ausgerechnet beim am stärksten wachsenden Bereich des Gesundheitswesens. Wir werden älter und dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir irgendwann in unserem Leben in irgendeiner Form auf Pflege angewiesen sind. In den kommenden 15 Jahren wird die Anzahl der über 65jährigen in der Schweiz um 52 Prozent zunehmen, die Anzahl der über 80jährigen wird um 88 Prozent steigen. Weil bei EFAS ein grösserer Anteil der Pflegekosten über die unsozialen Kopfprämien statt über Steuereinnahmen finanziert wird, werden die Prämien noch mehr explodieren als ohne EFAS. Um diese weitere Prämienexplosion einzudämmen, werden die Krankenkasse auf die Tarife noch mehr Druck machen als heute schon. Vergangenheit und Gegenwart zeigen: Dumping-Tarife gehen auf Kosten der pflegerischen Qualität und der Arbeitsbedingungen der Pflegenden. 

Da sieht es schon heute nicht gut aus.
In den Pflegeheimen werden in den kommenden Jahren schätzungsweise 35 000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt, um den Bedarf der Gesundheitsversorgung zu decken. Das Personal fehlt jedoch bereits heute. Grund dafür ist ein Teufelskreis aus wenig attraktiven Arbeitsbedingungen, die zu erhöhten Krankheitsausfällen und Berufsausstiegen führen, die wiederum den Personalmangel verschärfen und den Druck auf das bestehende Personal erhöhen. Diese Abwärtsspirale ist die Folge der aktuellen Unterfinanzierung der Heime mit der Absicht das Kostenwachstum einzudämmen. EFAS bietet keine Antworten auf diese Herausforderungen. Im Gegenteil: Durch die Abschaffung der bestehenden Finanzierungsmechanismen und die Verringerung des Engagements der Kantone wird der bereits bestehende Kosten- und Personaldruck noch verstärkt. Es werden noch mehr Pflegende aussteigen und die Versorgungskrise sich weiter verschärfen.

Wer verliert, wenn EFAS in der vorliegenden Form am 24. November beim Volk durchkommt?Es verlieren die Prämienzahlenden. Realistische Schätzungen gehen von bis zu 8 Prozent zusätzlichem Prämienanstieg aus. Es verlieren die Kranken und die Pflegebedürftigen, weil sich weniger Pflegende um sie kümmern können. Und es verlieren die Beschäftigten im Gesundheitswesen und in der Pflege, weil ihre Arbeitsbedingungen noch prekärer werden.

Und wer würde profitieren?
Die grössten Profiteurinnen sind die Krankenkassen, weil sie noch mehr Verhandlungsmacht bei der Tarifgestaltung in der Grundversorgung erhalten, neu auch in der Langzeitpflege. Damit erhalten sie Spielraum, um zusätzliche Profite bei den Zusatzversicherungen zu generieren und die Kantone, weil sie sich aus der Verantwortung in der Langzeitpflege schleichen könnten.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.