Künzi wählt
Die Sache mit der Freiheit

Foto: Yves Thomi

Schagge sagte: «Es sieht shitter aus für Kamala. Wir müssen was tun!» Also verkleideten wir uns als Freiheitsta­tuen und suchten vor dem Bundeshaus nach wahlberechtigten Amis. Es leben ja fast 80 000 wahlberechtigte Amis in der Schweiz. «Das ist matchentscheidend!» sagte Schagge. Drum war ich mega motiviert und habe alle Leute angesprochen. Auf Englisch.

ZÄPFLI

Ein Mann sagte, er liebe seine Freiheit, zu fliegen, und das lasse er sich von so linken Duble nicht wegnehmen. ­Schagge ging ab wie ein Zäpfli. Seine Freiheit, zu fliegen, sei sch…egal, weil es jetzt nämlich um die Freiheit gehe, überhaupt noch auf der Erde leben zu können! Die beiden schrien sich an. Ich finde das mit der Meinungsäusserungsfreiheit auch sehr wichtig, aber vielleicht bräuchte es noch so was wie eine Zuhörungspflicht?

FACKEL

Inzwischen standen schon ein paar Leute bei uns, trotz Regen. Eine Frau hatte ein Schild dabei mit «My Body, my Choice», aber sie hatte keinen amerikanischen Pass. Ein Mann fragte mich, ob wir das okay fänden, Tiere zu essen. Eine andere Frau fragte, wo der Aldi sei, sie brauche noch Cervelats. Ich schickte sie zum Mann mit den Tieren, und die beiden schrien sich auch an. Inzwischen hatte der Flugfan Schagge die Fackel weggenommen und fuchtelte damit herum. Eine Frau sagte: «Man muss einfach mehr in Bildung investieren, sonst können die Leute doch gar nichts anfangen mit ihrer Freiheit!» Und sie schaute besorgt zu den Schreihälsen.

Während ich noch darüber nachdachte, kam ein ­Sicherheitsbeamter und fragte, ob wir denn eine ­Bewilligung hätten? Schagge rief «Demonstrationsfreiheit!» und dass wir nur zwei seien, und sie
wolle ihre Fackel zurück. Sie stürzte sich auf den ­Flugtpyen, und beide zerrten an der Fackel. Der ­Beamte sagte: «Aber hier sind doch etwa 50 Leute, oder?» – «Ja», sagte ich, «aber die kennen wir gar nicht. Wir wollen nur unentschlossene Amis zur Wahl zwingen, weil wir für die Freiheit sind.» Er ­funkte seinen Kollegen.

SPRIT

Jetzt schüttete es richtig. Der Stoff, den Schagge mir umgewickelt hatte, war pflotschnass. Meine «Unabhängigkeitserklärung» war total verschwommen. Meine Fackel war erloschen, obwohl Schagge eine halbe Flasche Sprit reingeschüttet hat. Meine sieben Strahlen hingen runter, und zwei fielen ganz ab. Die Sicherheitsbeamten wollten meinen amerikanischen Pass sehen und glaubten mir nicht, dass ich Schweizerin bin.

In fünf Stunden haben wir nur drei wahlberechtigte Amis getroffen: Einer wollte nicht mit uns reden, einer hörte nicht mehr auf, mit uns zu reden, und der dritte sagte, er werde auf jeden Fall wählen, und zwar Trump.

Hey, nur noch 19 Tage. Jede Stimme zählt.

Sandra Künzi lebt und büglet in Bern. Sie mag Jassen, Schafe, Feuer und Bier. Zurzeit ist sie freiwillige, nicht ganz unabhängige Beobachterin des Wahlkampfes in den USA. Direkt aus dem Schweizer Wohnzimmer.

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