Jean Ziegler ‒ la suisse existe
Abfall des Todes

Jean Ziegler

Jean Ziegler

Am 21. Mai 2017 hat eine Mehrheit der Stimm­berechtigten (58 Prozent) das revidierte Energie­gesetz angenommen. Und damit den Bau neuer Atomkraftwerke verboten.

Unter dem Druck der milliardenschweren Atomlobby hat jetzt die Stimmung in Bern gedreht. Das Verbot zum Bau neuer Atomkraftwerke soll fallen. Bereits spricht sich eine Mehrheit der Bevölkerung für den Bau neuer AKW aus. Das zeigt eine neue Umfrage des Instituts Leewas im Auftrag der Tamedia-Zeitungen: 53 Prozent der Befragten sagen Ja oder eher Ja, 43 Prozent Nein oder eher Nein. SP, Grüne, die Gewerkschaften und andere linke Gruppierungen sagen deutlich Nein. Der Aufhebung des Verbotes stimmen SVP und FDP zu.

ATOM-TURBOS

Der Energieclub Schweiz (ESC) ist die inoffizielle Nachfolgeorganisation des Atomlobby-Verbandes Aves (Aktion für eine vernünftige Energiepolitik Schweiz). Ihr letzter Präsident: Atom-Bundesrat Albert Rösti. Der ESC steht hinter der «Stop Blackout»-Initiative, die auch dank der umstrittenen und möglicherweise gefälschten Unterschriften der Sammelfirma Incop zustande kam. Die Initiantinnen und Initianten schüren die Angst vor einer «Strommangellage» und fordern deshalb eine Aufhebung des AKW-Verbotes. Vanessa Meury ist Immobilienfachfrau, Mitglied der Jungen SVP und ESC-Präsidentin. Sie sagt:

Wir haben schon bei der Sammlung der Unterschriften zur Initiative gemerkt, dass die Bevölkerung eine sichere Stromversorgung wünscht. Das Tabu der Atomenergie ist gebrochen.

RIESENFEHLER

SP-Nationalrat Roger Nordmann ist erbitterter Gegner der Aufhebung des AKW-Verbotes. Er sagt: «Der Bundesrat macht einen Riesenfehler.» Gänzlich ungelöst sind die Probleme bei der Beschaffung des Urans, der militärischen Sicherheit und der gigantischen Kosten. Nicht einmal die Stromkonzerne wollen neue AKW bauen. Die Unterstützung neuer AKW würde zudem den Bau echter, erneuerbarer Energien torpedieren. Doch das Hauptproblem ist und bleibt die Endlagerung der radioaktiven Abfälle. Nordmann sagt:

Es gibt auf dem ganzen Planeten keinen sicheren Ort, wo Atomabfälle gelagert werden können.

VERSTRAHLT

Wie kann man die Gefahren radio­aktiver Abfälle in Hunderten oder Tausenden von Jahren erkennen? Bei hochradioaktiven Abfällen geht es 200 000 Jahre, bis die Radioaktivität auf das Niveau von Natururan gesunken ist. Die langfristigen Auswirkungen radioaktiver Strahlung sind Krebs sowie Missbildungen bei den Kindern verstrahlter Personen. Zu sofortigen Auswirkungen kommt es, wenn die Strahlung eine Vielzahl von Zellen zerstört. Die Folgen sind die Zerstörung des Knochenmarks, der Darmschleimhäute, Haut­verbrennungen und Sterilität.

Die Menge dieser Abfälle des Todes wird in der Schweiz wegen der verlängerten Laufzeiten der Atomkraftwerke von Gösgen, Beznau I und II und Leibstadt steigen. Durch die Verdoppelung ihrer Lebensdauer verdoppelt sich auch die Menge der hochgefährlichen Abfälle.

Wo ist Hoffnung? Der Kampf in Bern ist nicht entschieden. Von unserer Mobilisierung und entschlossenen Unterstützung hängt ab, ob die Strategie der Gewerkschaften, der Sozialdemokratischen Partei, der Grünen und der vielen Organisationen der Linken den Sieg davontragen werden.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden ­Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein 2020 im Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam im Frühling 2022 als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.

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