Stahl Gerlafingen: Hunderte protestieren in Bern
«Der Staat soll nicht nur die Banken unterstützen!»

Der Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze bei Stahl Gerlafingen geht in die heisse Phase: Rund 500 Büezerinnen und Büezer fordern von den beiden untätigen SVP-Bundesräten Guy Parmelin und Albert Rösti endlich ein klares Bekenntnis zum Schweizer Industrie- und Recyclingstandort.

KÄMPFEN AUF DEM BUNDESPLATZ: Die Büezerinnen und Büezer von Stahl Gerlafingen haben sich am Montag in Bern versammelt. (Foto: Manu Friedrich)

Der Nebel lichtet sich, als die Stahlarbeiter und -arbeiterinnen aus Gerlafingen auf dem Bundesplatz aufkreuzen. Zu Hunderten sind sie heute morgen mit Cars aus dem Kanton Solothurn angereist. Nach der Ankündigung einer weiteren Massenentlassung durch die Beltrame-Gruppe ist die Stimmung kämpferisch.

Systemrelevantes Stahlwerk

Ramona Graf (27) ist Teamleiterin im Stahlwerk und Teil der Delegation, die heute einen Brief an die National- und Ständeräte im Bundeshaus übergeben wird. Sie ruft der Menschenmenge zu: «Wer will goldenen Stahl, wenn er Armierungseisen braucht?!» Sie reckt ein vergoldetes Stück Armierungseisen in die Höhe und spielt damit auf die ständige Hilfsbereitschaft Bundesberns an, wenn es um die Rettung der Schweizer Grossbanken geht. Doch beim akut gefährdeten Stahlwerk bleibt der Bundesrat seit Monaten untätig. Graf sagt:

Wir sind systemrelevant, 50’000 Lastwagen verlassen unser Werk jedes Jahr mit Stahllieferungen für die Schweiz.

Stahlwerk-Büezerin Ramona Graf. (Foto: Manu Friedrich)

Arbeiter, Pensionierte, Politiker

Der Schmelzer Martin Dauwalder läuft in seiner auffällig silbrig schimmernden Arbeitskluft über den Bundesplatz. Er sagt:

Bei dieser Demo geht es um viel mehr als nur meinen Arbeitsplatz, es geht um eine über 200jährige Geschichte.

Schmelzer Martin Dauwalder. (Foto: Manu Friedrich)

Seit 32 Jahren arbeitet Dauwalder in der Stahlschmelzerei, und auch seine Mutter und sein Grossvater waren bereits für das Stahlwerk in Gerlafingen tätig. 

Mischa Mathis ist Vizepräsident der Angestelltenkommission. Er freut sich, dass heute so viele Mitarbeitende, aber auch Pensionierte, ehemalige Mitarbeitende und Politiker an der Demo teilnehmen. Er sagt:

Es braucht jetzt ein klares Zeichen von der Politik, dann ist auch die Beltrame-Gruppe bereit, weiterhin Geld in das Werk zu investieren.

«Jedes Gebäude braucht Stahl»

Der Schweisser Shan Tha ist mit seiner Frau nach Bern gereist. Er sagt: «Jedes Gebäude braucht Stahl. Der Staat sollte nicht nur die Banken unterstützen!» Es gehe auch um eine industrielle Unabhängigkeit der Schweiz. Auch SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard sieht das so. In seiner Rede kritisiert er die zuständigen Bundesräte Guy Parmelin und Albert Rösti für ihre Untätigkeit: «Der Bundesrat sagt, dass er keine Industriepolitik macht, aber auch das ist Industriepolitik: Es ist eine Politik der Deindustrialisierung!» Und SP-Co-Präsident Cédric Wermuth erinnert an die grosse industriepolitische Geschichte der Schweiz und daran, dass immer noch 20 Prozent der Werktätigen in Industriebetrieben arbeiten:

Wir verlangen Respekt vor eurer Arbeit, und ohne den Druck der Strasse wird nichts geschehen!

Von Imark bis Klimastreik

Auch der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark, der die Motion «Notmassnahmen für Stahl Gerlafingen» eingereicht hat, spricht vor den Arbeiterinnen und Arbeitern. Zur Rettung des Stahlwerks will er per Notrecht vergünstigte Stromtarife für das Stahlwerk. Ganz am anderen Ende des politischen Spektrums liegt da der Klimastreik Schweiz, der sich schon sehr früh mit den Stahlarbeitern solidarisiert hat und das Stahlwerk als Lieferanten von Recyclingstahl erhalten will. Im Sinne dieser ökologischen Kreislaufwirtschaft ist auch der Brief der Gewerkschaften, der von Ramona Graf an die Parlamentarierinnen und Parlamentarier übergeben wurde. Nach ihrem Besuch im Bundeshaus sagt Graf, dass in den nächsten Wochen eine politische Delegation das Stahlwerk besuchen werde:

Ich hoffe, dass wir bis dann keine Kurzarbeit mehr haben und wir den Ofen richtig einheizen können, so dass sie zum Schwitzen kommen, richtig dreckig nach Hause gehen und auch sehen, wie hart wir arbeiten.

Petition: 10’000 Unterschriften in einer Woche

Die Petition «Stahl Gerlafingen muss bleiben!», die den Erhalt der Arbeitsplätze und ein sofortiges Handeln der Politik fordert, wurde innert sieben Tagen von 10’000 Menschen unterzeichnet. Bundesbern und die Beltrame-Gruppe als Eigentümerin von Stahl Gerlafingen stehen in der Pflicht, alles zu tun, um das Werk zu erhalten. Dazu gehört, mit Kurzarbeit die Arbeitsplätze zu sichern und keine Produktionskapazitäten zu vernichten. Die Gewerkschaften Unia und Syna, der Kaufmännische Verband Schweiz und Angestellte Schweiz rufen zudem am Samstag, 9. November, um 11 Uhr zu einer weiteren grossen Solidaritätskundgebung vor dem Werk in Gerlafingen auf.

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