Am selben Tag gleich zwei Initiativen für städtische Mindestlöhne eingereicht
Löhne zum Leben auch in Bern und Schaffhausen

Die Bewegung für städtische Mindestlöhne gewinnt in der Schweiz weiter an Fahrt. Am Montag reichten Initiativkomitees in Bern und Schaffhausen Unterschriften für Löhne zum Leben ein.

7414 UNTERSCHRIFTEN: Das Berner Initiativkomitee hat erfolgreich Unterschriften für einen städtischen Mindestlohn gesammelt. (Foto: Manu Friederich)

Wer einen 100-Prozent-Job hat, muss von diesem Leben können. Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit wäre, ist in der Schweiz ein drängendes Problem:

6 Prozent aller Lohnabhängigen verdienen immer noch weniger als 4000 Franken im Monat für einen Vollzeitjob. Bei den Frauen sind es gar 9 Prozent.

Und es sind längst nicht nur serbelnde Kleinbetriebe, die solche gschämigen Löhne bezahlen, sondern zum Beispiel auch ­Luxushotelketten und Modekonzerne, die ihre Besitzerinnen und Besitzer zu sehr reichen Leuten machen.

Ein Vierteljahrhundert

Seit 25 Jahren führen die Gewerkschaften eine Mindestlohnkampagne. Und konnten dabei einiges bewegen – in den Betrieben, in den Branchen und in der Politik. Arbeitgeber-Ideologen und rechte Parteien wollen keine Mindestlöhne. Nicht in Gesamtarbeitsverträgen, nicht in der Bundesverfassung, nicht in Kantonsverfassungen, nicht in Städten. Denn:

Geht es um nationale Mindestlöhne, sehen sie den Föderalismus verletzt. Und neuerdings die Gesamtarbeitsverträge bedroht. Geht’s um kantonale Mindestlöhne, sehen sie die Kantone gegenüber Nachbarkantonen benachteiligt. Und geht es um städtische Mindestlöhne, sehen sie die Städte gegenüber den Agglomerationsgemeinden benachteiligt. 

In Bern…

Doch die Mindestlohnwelle in der Schweiz läuft. Am 28. Oktober haben Komitees aus Gewerkschaften, progressiven Parteien und Hilfswerken gleich in zwei Städten Initiativen für sozialpolitische städtische Mindestlöhne eingereicht.

In der Bundesstadt übergab das Initiativkomitee der Stadtkanzlei 7414 Unterschriften. Die Berner Initiative fordert einen Mindestlohn von 23.80 Franken pro Stunde. Damit würde eine Vollzeitstelle mindestens 4000 Franken im Monat einbringen. Heute verdienen zwischen 8000 und 10’000 Menschen in Bern weniger.

In Bern waren vorübergehend 1600 Unterschriften auf der Stadtverwaltung verschwunden: Sie waren als Büromaterial eingelagert worden. Das Komitee schreibt dazu: «Dank der breiten Solidarität in der Bevölkerung konnten wir diesen Rückschlag innerhalb der ordentlichen Sammelfrist mehr als wettmachen.»

…und in Schaffhausen

Nur dreieinhalb Stunden nach den Berner Kolleginnen und Kollegen übergab auch das Schaffhauser Initiativkomitee seine Unterschriften der Stadtkanzlei. In Schaffhausen arbeiten Hunderte Menschen für weniger als 4000 Franken im Monat bei einem 100-Prozent-Pensum. Sie sollen künftig mindestens 23.50 Franken pro Stunde verdienen. Die Initiativen orientieren sich an den Lebenshaltungskosten in den jeweiligen Städten.

ÜBERREICHT: Das Initiativkomitee übergibt der Stadtkanzlei die Unterschriften für einen städtischen Mindestlohn in Schaffhausen. (Foto: zvg)

Hungerlohn-Koalitionen

Die rechtliche Situation für städtische Mindestlöhne ist grundsätzlich geklärt. Das Bundesgericht hat in einem Grundsatzurteil zum Neuenburger Mindestlohn die kantonale Kompetenz zur Einführung von Mindestlöhnen bestätigt. Rechtsgutachten zeigen, dass auch Gemeinden diese Kompetenz haben. Doch trotz eindeutigen Gerichtsentscheiden und diversen Gutachten prozessieren die Mindestlohn-Gegnerinnen und -Gegner regelmässig gegen Parlaments- und Volksentscheide. Die Chancen tendieren zwar gegen null, aber Gegner und Gegnerinnen können mit ihrem Geld dafür sorgen, dass verantwortungslose Firmen noch Monate oder Jahre Hungerlöhne bezahlen können. Aktuell läuft dieses traurige Spiel in den Städten Zürich und Winterthur.

Elina Falchi, Vize-Präsidentin der Unia Zürich-Schaffhausen, sagt dazu bei der Einreichung der Schaffhauser Unterschriften:

Das ist eine Faust ins Gesicht all der Menschen, die auf dieses Geld angewiesen sind.

Diese «grobe Missachtung demokratischer Entscheide» dürfe sich in Schaffhausen nicht wiederholen. Das Stadtparlament müsse die Mindestlohn-Abstimmung «so dringend wie möglich behandeln, denn für die Betroffenen zählt jeder Tag». 

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