Unia-Mitglieder schlagen Alarm
Was die Sicherheitsbranche heute tut, ist gefährlich

Security-Mitarbeitende sollen Unfälle, Brände, Diebstähle oder Schlägereien verhindern. Doch eine Ausbildung dafür erhalten sie fast nicht.

WICHTIGE AUFGABE: Mitarbeitende von privaten Security-Firmen müssen zum Beispiel im Ausgang für Sicherheit sorgen, doch wirklich ausgebildet werden sie dafür nicht. (Foto: Keystone)

Heute muss Roger Brunner* lachen, wenn er zurückdenkt an seine Anfänge bei der Sicherheitsfirma Protectas. Einer seiner ersten Einsätze war auf der vielbefahrenen Hardbrücke in der Stadt Zürich. Wegen Bauarbeiten musste er den Verkehr regeln. Plötzlich hört er über Funk, dass ein Busfahrer reklamiert habe. Brunner erzählt:

Der sagte meinem Kollegen: Dieser Idiot hat keine Ahnung, wie man den Verkehr regelt. Und er hatte absolut recht!

Er sei vom ersten Arbeitstag an losgeschickt worden mit keinerlei Schulung, sagt Unia-Mitglied Brunner. Erst nach zwei Jahren habe ihn Protectas überhaupt in die Grundausbildung geschickt.

Die Anekdote hat einen todernsten Hintergrund: Private Sicherheitsleute werden ohne oder mit völlig ungenügender Ausbildung in den Einsatz geschickt. Wer in den Beruf einsteigt, bekommt zu hören: Mach es einfach so wie die Kollegen. Eine Berufslehre gibt es nicht. Und der GAV der Branche verpflichtet Arbeitgeber lediglich zu einer minimalen Basisausbildung von 20 Stunden. In einem Beruf, der immer wieder für traurige Schlagzeilen sorgt:

November 2023

In Waltensburg GR fährt ein Auto frontal in einen Mitarbeiter, der bei einer Baustelle den Verkehr regelt. Der 28jährige stirbt im Spital an seinen Verletzungen.


Juli 2024

Ein Festbesucher in Rikon ZH wird handgreiflich und bringt einen Security-Mann zu Fall. Der Mitarbeiter erleidet eine schwere Kopfverletzung und muss per Ambulanz ins Spital.


August 2024

Beim Rangieren in einer Strassenbaustelle in Bellinzona erfasst ein Lastwagen eine 52jährige Mitarbeiterin einer Sicherheitsfirma. Sie stirbt noch auf der Unfallstelle.

Die Beispiele machen deutlich: Überall, wo Security-Leute arbeiten, ist die Gefahr nicht weit. Eigentlich logisch. Denn an harmlosen Orten braucht es sie nicht.

Für Igor Zoric, bei der Unia für die Branche verantwortlich, liegt es deshalb auf der Hand, dass es für diese Arbeit auch eine fundierte Aus- und Weiterbildung braucht:

Sich in heiklen Situationen richtig zu verhalten, das kann niemand in ein paar Stunden lernen.

Lächerlich wenig

Wie unzureichend die aktuelle Ausbildung ist, zeigt auch der Vergleich zu anderen Berufen der Sicherheit. Die Polizeischule dauert zwei Jahre. Für weniger umfassende Tätigkeiten wie den Assistenzdienst der Polizei, den Strafvollzug oder das Bewachen von Botschaften braucht es Ausbildungen von mehreren Monaten bis zu drei Vierteljahren. Der Überblick in der Slideshow:

Die 20 Stunden in der privaten Sicherheit wirken im Vergleich geradezu lächerlich. Die Unia will jetzt eine deutliche Verbesserung erreichen.

Unia fordert: Bessere, längere und einheitliche Ausbildung

Derzeit verhandeln die Unia und der Arbeitgeberverband VSSU den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der Branche neu. Neben höheren Mindestlöhnen ist eine bessere Ausbildung eine der zentralen Forderungen der Unia-Mitglieder. Nicht nur die Dauer der Basisausbildung von 20 Stunden sei völlig unzureichend, kritisiert Igor Zoric von der Unia. Es existieren auch keinerlei Standards, weder für Inhalte noch für Qualifikation der Ausbildenden: «Heute agieren die Firmen nach ihrem Gusto. Also völlig intransparent.» Die Unia fordert, dass im neuen GAV eine einheitliche, zertifizierte Basisausbildung von 40 Stunden sowie jährlich mindestens drei Weiterbildungstage verankert werden. Das sei, so Zoric, «das absolute Minimum». Mittelfristig müsse die Branche eine modular aufgebaute Aus- und Weiterbildung aufbauen. Vorbilder gebe es bereits, so Zoric – etwa die bestehenden Ausbildungen Fachfrau Justizvollzug oder polizeilicher Sicherheitsassistent.

Denn die Aufgaben in der Branche sind extrem vielfältig, was eine breite Palette an Wissen und Kompetenzen erfordert. Lara Wenger*, ebenfalls Unia-Mitglied und Protectas-Mitarbeiterin, schildert work ein paar Beispiele. So werde sie manchmal ins Spital geschickt, um suizidgefährdete Menschen zu überwachen. Da müsse sie zum Beispiel wissen, dass das Gebäude zuoberst eine Dachterrasse habe. «Und wenn die Person sagt, sie gehe kurz auf die Toilette, muss ich dran denken, dass sie stattdessen den Lift nehmen und runterspringen könnte. Aber solche Sachen sagt dir niemand!»

Dann wieder sei sie in Läden im Einsatz, um Diebstähle zu verhindern. «Wenn ich beobachte, wie jemand klaut – was darf ich dann und was nicht? Ich hatte nie eine Schulung dazu. Das musste ich alles selber herausfinden.»

Feuerlöscher: Wie geht der?

Oft sei sie mit jungen Leuten eingeteilt, die während des Studiums in der Branche jobbten. Wenger erzählt:

Die bekommen einen Kurs von zwei, drei Tagen, manchmal nicht mal das, und los geht’s.

Klar, das sei billig für den Betrieb – aber gerüstet für die Arbeit seien die Leute danach nicht. Einmal habe sie nachts die Lastwagen einer Speditionsfirma bewachen müssen. «Nach meiner Schicht löste mich eine Studentin ab. Der hatten sie nicht einmal gezeigt, wie man einen Feuerlöscher bedient!»

* Namen geändert


Fachausweis Sicherheit ist vom Spardruck bedrohtEs gibt eine seriöse Ausbildung, aber…

Wegen des Preisdumpings in der Sicherheitsbranche sparen die Firmen an der Ausbildung. Auch Bund, Kantone und Gemeinden tragen zur Abwärtsspirale bei. Die Unia will sie jetzt in die Pflicht nehmen.

Sozialkompetenz, Rechtskunde, Fach- und Branchenwissen, dazu praktische Aufgaben: Das muss beherrschen, wer den eidgenössischen Fachausweis in der Sicherheitsbranche erhalten will. Mehrere Institute und Firmen bieten Vorbereitungskurse für die Prüfung an.

Eine gute Sache, sagt Igor Zoric von der Unia:

Wer die Prüfung besteht, hat eine solide Ausbildung in der Tasche.

Das Problem: Der Ausweis ist freiwillig – und Security-Firmen haben keinen Anreiz, ihre Mitarbeitenden in die Kurse oder an die Prüfung zu schicken. Im Gegenteil: Das kostet. Und würde damit den Preis erhöhen, den die Firma für Aufträge verlangt. Dann riskiert sie, Aufträge an billigere Anbieter zu verlieren. Zoric: «Der Preisdruck in der Branche ist in den letzten Jahren noch stärker geworden, als er ohnehin schon war.»

Security transportiert Gefangene

So kommt es, dass nicht viele in der Branche den «Eidgenössischen» machen. Mitverantwortlich dafür sind öffentliche Auftraggeber. Bund, Kantone und Gemeinden lagern mehr und mehr Aufgaben, die früher die Polizei übernahm, an private Sicherheitsfirmen aus. Aktuell hat zum Beispiel die Stadt Zürich einen Auftrag für «Sicherheitsdienstleistungen» öffentlich ausgeschrieben, darunter «Areal- und Revierüberwachung sowie Zutrittskontrollen». Das Spital Thun sucht eine private Firma «für Revierdienst, Objektschutz, Personenschutz». Und der Kanton Graubünden vergibt einen Auftrag für Gefangenentransporte sowie die Überwachung von Häftlingen «inner- und ausserhalb der Justizvollzugseinrichtungen».

Auch der Bund setzt auf private Security-Leute:

In sämtlichen Bundesasylzentren stehen sie im Einsatz, sogar das ABC-Labor in Spiez BE, das mit hochgefährlichen Stoffen und Krankheitserregern arbeitet, wird von Mitarbeitenden einer Security-Firma bewacht.

Der Grund für diese Auslagerungen: Private sind billiger als Polizistinnen und Polizisten. Igor Zoric kritisiert: «Beim Vergeben von Aufträgen zählt meistens nur der Preis. Die Qualität der Dienstleistung – und bei der Sicherheit ist das vor allem die Kompetenz der Mitarbeitenden – spielt keine Rolle.» Indem sie eine gute Ausbildung nicht honorierten, so Zoric, «setzten öffentliche Auftraggeber die Sicherheit und die Gesundheit der Mitarbeitenden aufs Spiel.»

Billig-Sicherheit im öffentlichen Raum

Mehr noch: Das Preisdumping gefährdet letztlich alle. Denn die privaten Sicherheitsleute werden etwa an Grossanlässen oder im Strassenverkehr eingesetzt. Zoric: «Der Staat muss die Sicherheit im öffentlichen Raum gewährleisten. Mit schlechtqualifizierten Security-Leuten an diesen Orten macht er aber genau das Gegenteil!»

Die Unia will nun die öffentlichen Auftraggeber in die Pflicht nehmen. Die Forderung sei ganz einfach, sagt Zoric:

Sie müssen verlangen, dass die Firmen nur Leute einsetzen, die den eidgenössischen Fachausweis haben.

Das würde nicht nur Qualität gewährleisten, so Zoric. «Es wäre ein Anreiz für Firmen, ihre Mitarbeitenden fundiert auszubilden. Das würde die Branche enorm aufwerten!»

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