Das offene Ohr
Kündigung bei Krankheit: Ist das zulässig?

Rahel Beyeler von der Unia-Rechtsabteilung beantwortet Fragen aus der Arbeitswelt.

In unserem Betrieb gab es immer viel zu tun, und meine Arbeitgeberin hat mir während Jahren viel Arbeit übertragen. Ich habe nie aufgemuckst, stand auch an Wochenenden für Einsätze zur Verfügung und konnte im letzten Jahr kaum Ferien beziehen. Dann wurde mir alles zu viel, und ich wurde krank – meine Ärztin spricht von einer typischen Erschöpfungs­depression (Burnout). Seit ­einem ­halben Jahr bin ich krank geschrieben und erhalte Taggelder der Kranken­taggeldversicherung. Nun hat mir ­meine Arbeitgeberin per Ende ­Monat gekündigt. Darf sie das während ­meiner Krankheit überhaupt?

BEGRENZT GESCHÜTZT: Auch in der Genesungsphase kann Ihnen gekündigt werden. (Foto: iStock)

Rahel Beyeler: Ja, das ist grundsätzlich möglich. Das Gesetz sieht Sperrfristen vor – sogenannte Schonfristen zur Genesung. In dieser Zeit darf Ihnen nicht gekündigt werden. Je nach Dauer des Anstellungsverhältnisses dauern die Sperrfristen von einem bis zu sechs Monaten. Je nach Gesamt­arbeitsvertrag (GAV) können diese Sperrfristen noch länger dauern: Im besten Fall sind Sie als Arbeitnehmerin so lange vor einer Kündigung geschützt, wie Sie Leistungen der Krankentaggeldversicherung oder der Unfallversicherung beziehen. Sind diese Sperrfristen jedoch abgelaufen, darf die ­Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis ­wegen einer Krankheit, die die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt, kündigen.

Gilt das auch für mich, die wegen der vielen Arbeit erkrankt ist?

Rahel Beyeler: In Ihrem Fall ist die Kündigung vermutlich missbräuchlich. Wenn eine Arbeitgeberin ihrer Arbeitnehmerin konstant zu viel Arbeit zuweist und ihr nicht genügend Er­holungszeit gönnt, missachtet sie die ihr nach Artikel 328 des Obligationenrechts obliegende Fürsorgepflicht. Wenn die Arbeitgeberin Ihnen wegen ­einer Krankheit kündigt, die sie massgeblich mitverursacht hat, erfüllt dies den Tatbestand der Missbräuchlichkeit nach Artikel 336 des Obligationenrechts. Sie können von Ihrer Arbeit­geberin deshalb eine Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen fordern. Die Kündigung an sich ist aber gültig. Wenn Sie nun vor Gericht eine Entschädigung einfordern, müssen Sie die ­Beweise für die Missbräuchlichkeit ­erbringen. Das bedeutet, Sie müssen nachweisen, dass Sie aufgrund der zu hohen Arbeitslast ernsthaft erkrankt sind und Ihre Arbeitgeberin Bescheid wusste, dass Sie unter dem Arbeitsdruck gelitten haben. Es ist deshalb wichtig, die Arbeitgeberin frühzeitig über eine Überlastung zu informieren. Schliesslich müssen Sie vor Gericht auch noch belegen, dass Ihnen aufgrund der Krankheit und nicht aus ­einem anderen Grund gekündigt ­wurde. In der Praxis ist es also nicht einfach, die Missbräuchlichkeit der Kündigung vor Gericht nachzuweisen.

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