Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Die Wahrheit ist ja bekanntlich ein stark ­umworbenes, kostbares Gut. Und sieht je nach Blickwinkel sehr unterschiedlich aus. Zum Beispiel bei Stahl Gerlafingen. Durch die marktradikale Brille scheint es keine Alternative zu geben, die Traditionsfirma muss sterben. Mit Blick in die Zukunft ist jedoch glasklar: Die Schweiz braucht eine eigene Stahlrecycling-­Industrie, gerade auch im Hinblick auf die dringend nötige Energiewende. Sie kann es sich schlicht nicht leisten, diesen Stahl-Standort und damit 120 Arbeitsplätze zu verlieren. Wirtschaftsminister Guy Parmelin braucht definitiv eine neue Brille. (zum Artikel)

Krank

Oder VW in Deutschland. Glauben wir dem Konzern und seinen zugewandten Sprachrohren, krankt VW an der Sozialpartnerschaft: Der Ursprung allen Übels sind hohe Löhne, Sonderzahlungen, Kündigungsschutz. Die Politik und die Gewerkschaft IG Metall würden den Konzern und die Strategie dominieren. Doch work-Autor Oliver Fahrni hat genauer hingeschaut: Im letzten Geschäftsjahr hat VW 322 Milliarden Euro Umsatz und 18 Milliarden Euro Reingewinn gemacht. 4,5 Milliarden flossen an die Aktionärinnen und Aktionäre. In den letzten drei Jahren hat der Konzern 22 Milliarden Gewinn ausgeschüttet – weit mehr, als VW für seine Zukunftsstrategie benötigen würde. Mit dem angekündigten massiven Jobabbau sollen also die Büezerinnen und Büezer für Managementfehler büssen und alleine die Last des Strukturwandels in der Auto­branche tragen. (zum Artikel)

Sprengstoff

Seit drei Jahren ist Daniela Cavallo Chefin des VW-Betriebsrates, sie vertritt die weltweit 600’000köpfige Belegschaft und ist damit eine der mächtigsten Gewerkschafterinnen der Welt. Cavallo weiss, dass VW die ­Wende zum E-Auto verpasst hat. Seit Jahren macht sie deshalb konkrete Vorschläge, wie das Können und Wissen der Arbeitenden in die Industrie für E-Mobilität einfliessen könnten. Bereits kurz nach ihrer Wahl sagte sie in einem Interview mit der «Zeit»: «In der Automobil­industrie müssen wir uns damit auseinander­setzen, wie wir die Transformation ins digitale Zeitalter und in die Elektromobilität schaffen.» Die Unternehmen selbst würden zu oft immer nur von alternativen Antrieben, Klimazielen, und von Digitalisierung sprechen. Doch viel zu wenig darüber, wie Arbeitsplätze erhalten werden könnten. Das verunsichere die Beschäftigten, und sie könne auch verstehen, dass manche Arbeitende deshalb Richtung AfD wanderten. Denn dort machten Politiker ganz platte Versprechen wie «Wir wollen den Diesel erhalten», jedoch völlig konzeptlos. Unternehmen und Gewerkschaften müssten dafür sorgen, dass der Wandel nicht nach hinten losgehe. Denn das sei sonst wirklich «sozialer Sprengstoff».

Baracke

Daniela Cavallo ist die erste Frau an der Spitze des VW-Betriebsrates. Sie ist die Tochter italienischer Migranten. Ihr Vater habe anfangs in einer der Holzbaracken gewohnt, die man für die italienischen Männer aufgestellt habe. «Die waren umzäunt, vom Werkschutz bewacht und abgeschottet vom Rest der VW-Belegschaft», sagte Cavallo einmal in einem Interview. IG-Metall-Kollegen bezeichnen sie als manchmal «stur wie ein Esel». Muss sie wohl, um als Frau und Seconda in der Auto­branche zu bestehen. Und auch für die kommenden Verhandlungen, in der ganz unterschiedliche Blickwinkel aufeinanderprallen. Aber hoffentlich stur wie eine Eselin.

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