25.  November bis 10. Dezember: 16 Tage gegen Gewalt an Frauen
Der schmale Grat zwischen sexistischen Witzen und Femizid

Ein Vergewaltigungsfall vor dem Churer Gericht, fünf Femizide und der Sexismusskandal bei der Schweizer Armee. Und das alles in nur einem Monat. Der feministische Rückblick in den Oktober lässt die Frage offen: Wann kümmert sich die Schweiz endlich um adäquate Gewaltprävention?

(Illustration: work / Idee: javirroyo)

Der letzte Femizid in der Schweiz ist erst wenige Tage her. Am 25. Oktober 2024 wurde in La Chaux-de-Fonds NE eine 42jährige Frau von ihrem Ehemann getötet. Der Mann ermordete auch seine 17jährige Tochter. Damit zählt die Schweiz allein im Oktober 5 Femizide, im Jahr 2024 wurden bisher 18 Frauen ermordet. Der Grund für ihren Tod: ihr Geschlecht. In den letzten Jahren wurde im Schnitt jede zweite Woche eine Frau von ihrem Ehemann, Lebensgefährten, Ex-Partner, Bruder oder Sohn getötet. Trotzdem werden Morde an Frauen als Privatsache abgetan. 

Der gefährlichste Ort für eine Frau ist ihr eigenes Zuhause. Doch das Problem beginnt schon viel früher. Eine im Oktober publizierte Umfrage zeigt bedenkliche Ergebnisse:

In der Schweizer Armee wird jede zweite Person sexuell belästigt.

Teilgenommen haben an der Umfrage 764 Frauen und 362 Männer. Von den Befragten sind knapp 50 Prozent von Diskriminierung betroffen, 40 Prozent wurden Opfer von sexualisierter Gewalt. Und 81 Prozent gaben an, selten bis oft sexistische Bemerkungen und Witze im Dienst erlebt zu haben. 

Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) bezieht klar Stellung und vermeldet: «Für die GSoA ist klar, dass die Erhöhung des Frauenanteils in der Armee nichts zur Gleichstellung beiträgt. Die GSoA wird sich deshalb weiterhin gegen eine Dienstpflicht in einer zutiefst patriarchalen Institution wehren.»

Machtspiel im Bündner Filz

Ein weiterer Skandal, der nicht nur Graubünden erschüttert, ist der laufende Prozess rund um die Vergewaltigung einer jungen Frau. Die Details sind mehr als haarsträubend: Ein Churer Richter hat eine 24jährige Anwaltspraktikantin monatelang sexuell belästigt. Im Dezember 2021 hat er sie mutmasslich vergewaltigt. 

Seine Machtposition nutzt der Richter aus: Nachdem er mit den Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert worden ist, schreibt er seiner Praktikantin einen Drohbrief. Drin steht:

Er sorge dafür, dass die Praktikantin ihre Anwaltsprüfungen in Graubünden nicht bestehen werde.

Ähnlich hässlich der Gerichtsprozess. Die zuständige Richterin fragt, ob die junge Frau «nicht die Beine hätte zusammenpressen können». Und der Anwalt des Täters ist der Meinung, ein Nein reiche nicht. Das Opfer hätte mehr oder weniger explodieren müssen, ihn wegstossen und aus dem Büro stürmen sollen. Eine laute, fast schreiende Äusserung ihres Unbehagens wäre angebracht gewesen. Leider kein schlechter Witz.

Für die Vergewaltigung will die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten zwei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis schicken. Für den Drohbrief droht ihm eine Geldbusse. Wie der Prozess für den Täter ausging, ist noch unklar.

Genug von der Gewalt!

Am 23.  November starten die nationalen 16 Tage gegen Gewalt an Frauen. Das diesjährige Thema: «Wege aus der Gewalt». Dafür rufen die Organisatorinnen, darunter auch die Gewerkschaft Unia, zur Demo auf, am Samstag, 23. November, um 14.00 Uhr auf der Schützenmatte in Bern. Unter dem Motto «Schulter an Schulter gegen Gewalt und Unterdrückung» demonstrieren Frauen und solidarische Menschen. work berichtet vor Ort auf Instagram (@workzeitung). Mehr Informationen zur Demo und zu den 16 Tagen, prall gefüllt mit interessanten Events in der ganzen Schweiz, unter: www.16tage.ch


Unia-Gleichstellungssekretärin Aude Spang über sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz«Die Arbeitgeber sind in der Pflicht»

work: Wie weit verbreitet ist ­sexualisierte Gewalt am ­Arbeitsplatz in der Schweiz?
Aude Spang: Im Laufe ihres Berufslebens wird eine von drei Frauen Opfer von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Angezeigt werden die Fälle aber selten, weil Opfer Angst vor den Konsequenzen haben. Gerade Arbeitnehmerinnen, die in prekären Verhältnissen angestellt oder wirtschaftlich auf ihre Arbeitgeber angewiesen sind, können es sich nicht leisten, sich zu wehren. Eine englische Gewerkschaftsstudie zeigt, dass 80 Prozent der Frauen, die belästigt werden, dies nie ihrem Arbeitgeber melden. Wir als Gewerkschaft sehen die Dringlichkeit, dagegen zu kämpfen. Die Unia wird im nächsten Jahr eine Kampagne gegen Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz starten. Es gibt viel gewerkschaftliche Arbeit zu leisten. Denn wir müssen die Mechanismen hinter den Belästigungen verstehen, Fälle erkennen, dagegen kämpfen und gleichzeitig die Opfer schützen und unterstützen.

UNIA-FRAU AUDE SPANG: «Auch Männer können viel dazu beitragen, Geschlechterrollen aufzubrechen.» (Foto: rts)

Was sind die Forderungen der Gewerkschaft?
Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Angestellten vor Belästigung und Diskriminierung zu schützen. Es ist wichtig, die Verantwortung der Arbeitgeber klar zu betonen. Wir fordern verbindliche Massnahmen zum Schutz der Arbeiterinnen und Arbeiter. Es braucht solide und vor allem wirksame Schutzmassnahmen an den Arbeitsplätzen. 

Warum ist es wichtig, am 23. November auf die Strasse zu gehen?
Es ist wichtig, um auf die ­Ernsthaftigkeit des Problems der Belästigung am Arbeitsplatz hinzuweisen. Diese nationalen Demonstrationen sind auch starke Momente des Zusammenhalts. Darüber hin­aus ist das Thema geschlechtsspezifische Gewalt ein zentrales Thema des feministischen Kampfes. Auch wenn man nicht direkt betroffen ist, hat man wahrscheinlich jemanden in seinem Umfeld, der betroffen ist, und es geht darum, Solidarität mit den Opfern von Diskriminierung und Belästigung zu zeigen. Es ist wichtig, dass sich auch Männer mobilisieren. Auch sie können viel dazu beitragen, Klischees von Männlichkeit und Geschlechterrollen aufzubrechen. So kann man das Problem an der Wurzel packen.

 Das Interview geführt hat Manon Tedesco, es erschien zuerst in der französischsprachigen Unia-Zeitung «L’Evénement syndical» und wird hier in einer leicht abgeänderten Version publiziert.

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