Gerüstbau-GAV mit Premiere in Gewerbe und Bau
Znüni näh auf Arbeitszeit!

Der neue Gerüstbau-GAV bringt mehr Lohn und ­Freizeit. Doch zwei ­Knacknüsse bleiben ­ungelöst.

ZUFRIEDEN, ABER: Gerüstbauer Gentian Aliaj hätte sich bezüglich Arbeitssicherheit mehr vom GAV gewünscht. (Foto: Isabelle Haklar)

Nach einem knappen Jahr Verhandlungsarbeit liegt er auf dem Tisch – ­­der neue Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für den schweizerischen Gerüstbau. Nach den Arbeitgebern hat am letzten Samstag auch die Unia-Berufskonferenz dem Verhandlungsresultat zugestimmt. Beim neuen GAV dürften so manche Bauleu­­te Augen machen. Denn es ist ein bunter Strauss an Fortschritten, der den landesweit rund 3500 Gerüstmonteurinnen und -monteuren winkt. So wird künftig jede Inflation bis 1,5 Prozent ­automatisch ausgeglichen. Liegt die Teuerung darüber, wird der übersteigende Anteil ausgehandelt. Bereits beschlossen ist zudem, dass die Löhne auch real und für alle steigen – und zwar um zweimal 0,5 Prozent in den Jahren 2027 und 2028. Besonders erfreulich: die bezahlte viertelstündige Znünipause pro Tag – ohne entsprechende Verlängerung der Arbeitszeit. Ein absolutes Novum im Gewerbe und im Bau! Damit verkürzt sich die Arbeitszeit um immerhin rund 60 Stunden im Jahr. Und da künftig Samstagsarbeit endlich auch im Gerüstbau zuschlagspflichtig wird (+25 Prozent Lohn), wird das freie Wochenende besser geschützt.

Keine Schlechtwetterregel

All das freut Gerüstbauer Gentian Aliaj (46): «Das Wichtigste ist, dass wir überhaupt einen GAV haben und diesen immer verbessern können.» Freudensprünge macht der erfahrene Objektleiter und Gewerkschafter trotzdem keine. Aliaj erklärt:

Unser drängendstes Problem ist das Arbeiten bei Schlechtwetter und Extremtemperaturen. Während andere Bauleute auch mal ins Trockene oder in den Schatten können, sind wir immer voll exponiert! Und mit dem ­Klimawandel wird es nur gefährlicher. Deshalb bräuchten wir endlich klare Regeln, ab wann die Arbeit eingestellt werden muss!

Doch eine solche Schlechtwetterregel bringt auch der neue GAV nicht. Simon Constantin, bei der Unia zuständig für den Gerüstbau, erklärt: «Die Arbeitgeber wollten partout nicht über eine Branchenlösung diskutieren. Sie hoffen auf eine baldige Weisung der Suva und spielen den Ball so einfach weiter.»

Auch nichts wissen wollten die Chefs von Mindestgrössen für Equipen. Die Unia forderte, künftig müssten ­immer mindestens Dreierteams ausrücken. Aliaj erklärt: «Wenn du nur zu zweit auf einem Gerüst bist, musst du extrem viel stemmen. Das Unfallrisiko steigt. Auch weil man heikle Dinge tut, die nicht nötig wären, wenn ein Kollege mehr da wäre.» Immerhin: Sein Patron sehe das genauso und habe die Dreierregel längst zur Pflicht gemacht.

Basis wächst – und wirkt

Dass die Firmen ausgerechnet bei der Arbeitssicherheit klemmten, dürfte für breite Enttäuschung sorgen. Denn laut einer Unia-Umfrage unter fast 500 Monteuren stehen die Dreierregel und die Schlechtwetterlösung fast zuvorderst auf ihrem Forderungskatalog. Nur Lohn­erhöhungen waren noch wichtiger. Trotzdem sagt Unia-Verhandlungsleiter Constantin: «Der GAV ist ein klarer Schritt nach vorne.» Zumal auch die ­Arbeitgeber mit Forderungen aufgefahren seien. Darunter: Arbeit auf Abruf, Reduktion der Lohnfortzahlung bei Unfall, Ausschluss von Magazinern und Chauffeuren vom GAV, 30 Minuten unbezahlte Reisezeit pro Tag und Bussen für das Nichttragen der Schutzausrüstung. All das konnten die Gewerkschaften verhindern, nicht zuletzt dank einer gestärkten Mitgliedschaft: Allein 2023 ist die Zahl in der Unia organisierter Gerüstbauer um fünf Prozent gestiegen. In einem Punkt war man dennoch zu ­einem Zugeständnis bereit: Neu sind 120 statt 100 Überstunden pro Jahr zuschlagsfrei. Gefordert hatten die Arbeitgeber 200 Gratisüberstunden.

Das bringt der neue GAV:

+ Automatischer Teuerungsausgleich (bis 1,5 Prozent)

+ Reallohnerhöhung um zweimal 0,5 Prozent: 2027 und 2028

+ Bezahlte Znünipause (15 Minuten) ohne Erhöhung der Arbeitszeit

+ Samstagsarbeit nur noch mit 25 Prozent Lohnzuschlag (Auszahlung Ende Monat)

+ Bessere Arbeitszeitkontrolle dank Einführung eines Betriebskalenders

+ Bessere Planbarkeit der Ferien: Neu müssen die Feriendaten bis am 30. März bekannt sein

– Erhöhung der zuschlagsfreien Überstunden von 100 auf 120 pro Jahr


Kontrolle Hohe Bschiss-Summe

2023 hat die Paritätische Berufskommission Gerüstbau 59 Schweizer Firmen kontrolliert und Lohnunterlagen von 793 Mitarbeitenden geprüft. Das Resultat: Im Schnitt wurde jeder Mitarbeiter um 745 Franken betrogen! Am häufigsten fehlten die vereinbarten Lohnerhöhungen, der Zeitzuschlag von 12,5 Prozent für nicht ausbezahlte Überstunden am Jahresende sowie die obligatorischen Kurse zu ­Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz. (jok)

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