WEF-Winterwanderung: Bundesgericht fällt wegweisendes Urteil
«Unser Protest ist unser Recht!»

Die WEF-Winterwanderung ist bekannt als friedlicher Protest. Im Jahr 2023 beschnitten die Davoser Behörden ­unrechtmässig die Versammlungs- und Meinungs­­freiheit. Dieses Urteil fällte ­kürzlich das Bundesgericht und sendet damit ein wichtiges Signal.

Das Ziel des Aktivistinnen-Kollektivs Strike WEF ist simpel und längst überfällig: Stoppt das WEF! Jährlich trifft sich im Januar das «Who is who» der Kapitalisten in Davos – eingeflogen in Privatjets. An langen Konferenztischen diskutieren sie am World Economic Forum über Kohle und Geld. Zudem bietet das WEF regelmässig rechten Querulanten wie US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump oder dem argentinischen Präsidenten Javier Milei eine Bühne für ihre menschenfeindliche Propaganda.

Das Kollektiv aus der Region organisierte nach einer pandemiebedingten Pause am 14. Januar 2023 erneut eine Winterwanderung. Die Idee des Protests: Mit Transpi und warmen Kleidern während zweier Tage von Küblis über Klosters nach Davos zu wandern. Wie es üblich ist für eine solche Aktion, holten sich die Organisatorinnen eine Bewilligung bei den Behörden. Claudio Bernhard (27), Organisator der Winterwanderung, sagt:

Da wir im Jahr 2020 eine ähnliche Wanderung geplant haben, diese bewilligt wurde und alles sehr friedlich verlief, haben wir wieder mit einer Bewilligung gerechnet. Was dann aber auf uns zukam, war eine Farce.

Die Bündner Behörden erlaubten den Protestmarsch nur bedingt und leiteten die Aktivisten von Strike WEF von der Kantonsstrasse weg auf Wald- und Wanderwege. Bernhard: «Das ist nicht die Idee einer aktivistischen Aktion. Wir brauchen Sichtbarkeit, und die wurde uns genommen.» Das Kollektiv liess sich das nicht gefallen und reichte ­Beschwerde um Beschwerde ein – bis vors Bundes­gericht.

Enorme Erleichterung

Mit vielen solidarischen Menschen und juristischer Unterstützung zog Bernhard als Privatperson und Beschwerdeführer den Fall von Instanz zu Instanz.

Es war ein enormer Kraftakt, und mir war bewusst: Ich riskiere viel. Doch uns als Kollektiv war klar, dass unser Protest unser Recht ist.

DURCH ALLE INSTANZEN GEKÄMPFT: Für Organisator Claudio Bernhard ist das Urteil eine grosse Erleichterung. (Foto: zvg)


Anfang Oktober nun das Urteil: Das Bundesgericht gibt Strike WEF recht und anerkennt, dass die Verschiebung der Route von der Kantons­strasse auf Nebenstrassen und Wanderwege ein unverhältnismässiger Eingriff in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit ist. Weiter begründet das Bundesgericht sein Urteil damit, dass drei Jahre zuvor die Benutzung der Kantonsstrasse für eine Marschkundgebung bewilligt worden sei. «Es ist nicht belegt, dass es damals zu Problemen gekommen wäre», schreiben die obersten Richterinnen und Richter.

Bernhard sagt dazu: «Als ich vom Urteil Wind bekommen habe, konnte ich es nicht fassen. Die Erleichterung war immens, und wir versammelten uns spontan am gleichen Abend auf ein Bier, um diesen Sieg zu feiern.» Über Jahre hinweg hatte das Kollektiv das Gefühl, den Behörden ausgeliefert zu sein. Jetzt, wo sie recht erhalten haben, fühlen sie sich darin bestätigt, dass ihr Protest gegen das WEF relevant ist.

Gewerkschaftsrechte beschnitten

Unia-Juristin Marina Wyss ordnet das Urteil ein:

Öffentlich seine Meinung kundzutun ist wichtig für die demokratische Meinungsbildung. Präventive Eingriffe seitens Behörden, wie dies beim Fall der Winterwanderung war, sind mit den Grundrechten nicht vereinbar.

Laut Wyss sei dieses Urteil ein Hoffnungsschimmer für kommende Demobewilligungen und biete wichtige Anhaltspunkte für noch laufende Prozesse. Dabei weist sie explizit auf den unverhältnismässigen Polizeieingriff an der 1.-Mai-Demo in Basel hin (work berichtete).

Angriffe auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind nicht nur in der Schweiz ge­fährdet, sondern weltweit. Die neofaschistische ­Regierungschefin Italiens, Giorgia Meloni, greift knallhart durch: Sie verabschiedete mit ihrer rechtskonservativen Regierung Mitte September ein Paket mit 20 neuen Gesetzen. Der Plan von Meloni: Gesetze einführen für härtere Strafen für Demons­trierende und Geflüchtete. Der italienische Gewerkschaftsbund kritisiert dies scharf:

Die Kriminalisierung friedlicher Proteste wirkt sich direkt auf das Streik- und Demonstrationsrecht aus. Damit wird die Ausübung der Gewerkschaftsrechte beeinträchtigt. Gewerkschaftsproteste laufen Gefahr, als ‹Unterbrechung des öffentlichen Dienstes› oder ‹Strassenblockade› kriminalisiert zu werden.

Deswegen rief der Gewerkschaftsbund Ende September zu landesweiten Demonstrationen auf, denen sich Hunderte anschlossen.

Über aktuelle Entwicklungen rund um Proteste in der Schweiz bietet Amnesty International einen Überblick unter dem diesem Link.

Schon in Planung: Nächste Winterwanderung kommt

Auch im kommenden Jahr findet das World ­Economic Forum in Davos statt. Und somit stellt Strike WEF wieder eine Wanderung auf die ­Beine. Diese findet vom 18. auf den 19. Januar 2025 statt. Wandermotivierte Antikapitalistinnen können sich unter diesem Link für die Wanderung anmelden und weitere Informationen finden.

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