Gerüstbau-GAV mit wegweisenden Fortschritten, aber…
Alarmierende Unfallstatistik: Kaum ein Beruf ist gefährlicher

Beim Thema Znünipause ist der Gerüstbau der Zeit voraus – dank dem neuen GAV. Doch bei der Arbeitssicherheit ist die Branche Schlusslicht. Das will die Unia-­Berufskonferenz jetzt ändern!

KONZENTRATION IST GEFRAGT: Wer im Gerüstbau fahrlässig arbeitet, gefährdet sich, andere Bauleute und Passanten. (Foto: Keystone)

Jetzt ist es definitiv. Die Gerüstbaubranche führt eine für die Schweiz wegweisende Neuerung ein: «Znüni näh» gilt künftig als Arbeitszeit! Konkret müssen ab dem 1. April 2025 alle Gerüstfirmen eine bezahlte Znünipause von 15 Minuten gewähren – ohne Verlängerung des Arbeitstags. Damit reduziert sich die Jahresarbeitszeit um rund 60 Stunden. Dem entsprechenden GAV-Entwurf haben die in der Unia organisierten Gerüstmonteure an ihrer Berufskonferenz vom 9. November deutlich zugestimmt. Die Arbeitgeber hatten dies schon zuvor getan. Damit winken den Gerüstbauerinnen und -bauern bald auch ein automatischer Teuerungsausgleich und ein obligatorischer Lohnzuschlag von 25 Prozent auf Samstagsarbeit (alle Neuerungen nachzulesen hier).

Das vereinbarte Verbesserungspaket helfe, die Attraktivität der Branche zu steigern und auf den Fachkräftemangel und das Wiedereinsetzen der Teuerung zu reagieren, teilen die drei Vertragspartner – Unia, Syna und Schweizerischer Gerüstbauunternehmerverband (SGUV) – in einem gemeinsamen Communiqué mit. Dies war auch der Tenor an der Gerüstbüezer-Konferenz. Doch da waren auch noch andere Töne.

Bei der Sicherheit hapert’s

Der Genfer Julio Azedou (59) arbeitet seit Jahrzehnten auf dem Beruf, heute als Gruppenführer bei Roth. Er sagt: «Die erreichten Fortschritte sind sehr wichtig, und ich bin allen dankbar, die sich dafür eingesetzt haben!» Gleichzeitig müsse anerkannt werden, dass auf den Baustellen der Stress «stark zugenommen» habe. Darunter litten Qualität und Sicherheit. Balde Dernod (36) aus Lausanne, auch er ein Gruppenführer, sieht noch ein Problem:

Es gibt immer mehr Temporäre, die keine Ahnung haben von den geltenden Sicherheitsvorschriften oder wie man einen Verletzten rettet.

Die Firmen müssten daher verpflichtet werden, ihr Personal besser zu schulen, meint Dernod. Denn wer im Gerüstbau fahrlässig ­arbeite, gefährde nicht nur sich selbst, sondern letztlich alle Bauleute und im Extremfall sogar Passanten.

Diese Meinung teilte die gesamte Berufskonferenz; sie beschloss eine entsprechende Schwerpunktsetzung fürs kommende Jahr. Nötig erschien dies, da die Arbeitgeber in den GAV-Verhandlungen ausgerechnet bei der ­Sicherheit klemmten: Die Forderung nach mindestens drei Arbeitern pro Equipe lehnten sie ab. Dies, obwohl klar ist, dass die notfallmässige Bergung eines Verletzten durch eine Person alleine schwer zu bewerkstelligen ist. Erst recht, wenn der Verunfallte in einem Sicherheitsgstältli kopfüber in der Luft hängt. Dann zählt jede Minute! Aber auch klare Regeln für die Einstellung der Arbeit bei Schlechtwetter und Extremtemperaturen wollten die Arbeitgeber nicht. An der Berufskonferenz sorgte dies für reichlich Diskus­sionsstoff – auch weil die Unfallstatistik ein überdeutliches Bild zeichnet.

Das Risiko steigt

Die Suva führt genaustens Buch über das Unfallgeschehen in den einzelnen Branchen. Der Gerüstbau gehört dabei seit Jahren zu den Sorgenkindern. Das zeigen schon die horrenden Versicherungsprämien, die Gerüstbauunternehmen der Suva abliefern müssen. Denn das Prämiensystem der Suva verlangt, dass jede Branche ihre Kosten selbst trägt. Im Gerüstbau liegt die Nettoprämie aktuell bei 5,74 Prozent – und damit mehr als doppelt so hoch wie im ebenfalls nicht gerade risikoarmen Bauhauptgewerbe. Noch höhere Prämien zahlen nur die Branchen «Adventuresport» und «Personalverleih Berufssport».

Die Suva-Zahlen zeigen ausserdem, wie eklatant das Risiko gestiegen ist. So lag die Zahl der schweren Unfälle 2023 um ganze 86 Prozent höher als noch 2014! Und dies, obwohl die Zahl der Vollbeschäftigten in der gleichen Zeit nur um 28 Prozent gestiegen ist. Auch beim Absenzrisiko und den Schwerstunfällen stellt die Suva eine negative (also zunehmende) Tendenz fest – letzteres abermals im Unterschied zum Bauhauptgewerbe.

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