Femizid: Kriminologin Nora Markwalder (43) zu Tötungen, die aus Frauenhass entstehen
«Das Hauptmotiv ist Eifersucht»

Nora Markwalder (43) ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität St. Gallen. Aus ihrer Forschung kennt sie das Motiv und die Motivation der Männer, die Frauen töten. Und fordert im work-Interview: Wir müssen endlich hinschauen!

PROFESSORIN NORA MARKWALDER: «Bei Partner­innentötungen oder familiären Tötungen sind Schweizer Täter in der Mehrheit, generell bei Tötungsdelikten sind Opfer sowie Täter mit Migrationshintergrund jedoch leicht ­übervertreten.» (Foto: Julia Neukomm)

work: Nora Markwalder, vor fünf Jahren sagten Sie im work, dass 40 Prozent aller Tötungen in der Schweiz in einer Partnerschaft stattfänden und die grosse Mehrheit der Opfer Frauen seien. Was hat sich seither verändert?
Nora Markwalder: Leider nicht viel. Fünf Jahre sind ein eher kurzer Zeitraum, um grössere Veränderungen in der Forschung festzustellen. Die Anzahl Tötungsdelikte in Partnerschaften an Frauen sind seit etwa zwanzig Jahren gleichbleibend. Die generelle Mordrate sinkt jedoch stetig, darunter beispielsweise Tötungen im Ausgang oder Milieutötungen. 

Die generelle Mordrate sinkt, das ist doch ein gutes Zeichen.
Man müsste sich fragen: Warum gehen die Tötungsdelikte in Partnerschaften nicht im gleichen Mass zurück? Mittlerweile gibt es einzelne Jahre, in denen hierzulande mehr Frauen als Männer getötet werden.

Was bringt einen Mann dazu, eine Frau zu töten?
Das Hauptmotiv ist die Eifersucht. Bei der Hälfte der Tötungen hat eine Trennung stattgefunden oder wird voraussichtlich stattfinden. Der Mann erträgt die Trennung nicht oder ist eifersüchtig auf potentielle neue Partner. Das kostet jährlich im Durchschnitt 14 Frauen das Leben. Die Eifersucht ist besonders bei jüngeren Paaren das ausschlaggebende Motiv.

Und bei älteren? 
Täter und Opfer sind bei Tötungsdelikten in der Partnerschaft älter als bei anderen Delikten. Bis es zur tödlichen Gewalt kommt, gehen oftmals jahrelange Beziehungskrisen voraus und hat bereits häusliche Gewalt stattgefunden. Auch im hohen Alter kommt es zu Tötungsdelikten in Partnerschaften. In diesen Fällen bringt der Ehemann oft seine alte, kranke oder demente Frau aus Überforderung oder Mitleid um. Erst sie und dann sich selbst. In diesen Fällen spricht man von einem Homizid/Suizid. Diese Tötungen machen 27,7 Prozent der Tötungsdelikte in Partnerschaften aus. Auch die Tatwaffen unterscheiden sich: Während jüngere Täter zu Stichwaffen greifen, töten ältere Täter häufiger mit Schusswaffen.

Krimis bei der Arbeit, Krimis zu Hause

Nora Markwalder (43) ist Kriminologin aus Leidenschaft. Als Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität St. Gallen bringt sie Studierenden die Themen näher und forscht dazu. In ihrer Freizeit gibt ihr das Thema aber keine Ruhe: Sie ist grosser Krimi-Fan – ob als Buch oder Film. Ihre Passion zum Beruf machte sie über ein Jura- und Kriminologie-Studium. Nach ihrem Doktorat absolvierte sie Gerichtspraktika, die Anwaltsprüfung und arbeitete anschliessend als Strafverteidigerin.

Bei Femiziden heisst es oft, das Paar habe «Eheprobleme», der Mann ein «Aggressionsproblem» oder die Frau schlicht die «falsche Wahl» bei der Partnersuche getroffen.
Oftmals fiel in diesem Zusammenhang, gerade in der medialen Berichterstattung, das Wort «Beziehungsdrama». Das hat sich zwar in den vergangen fünf Jahren deutlich verbessert, aber wichtig ist: Die Tötung einer Frau in einer Beziehung ist kein Drama, sondern ein Tötungsdelikt. Wichtig ist bei solchen Delikten, herauszufinden, was das Motiv der Täter war. Im Strafgesetz unterscheidet man zwischen vorsätzlicher Tötung und Mord. Bei Mord drohen dem Täter höhere Strafen, etwa eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Natürlich ist jedes Tötungsdelikt sehr individuell. Es müssen aber grundsätzlich die Fragen geklärt werden: Hat der Täter aus Skrupellosigkeit gehandelt? Welche Rolle spielen frauenverachtende Ansichten oder sogar Frauenhass? Musste das Opfer besonders leiden oder qualvoll und langsam sterben? Und: Wurde das Tötungsdelikt aufgrund einer krassen Missachtung des Lebens und der Integrität der Frau begangen?

Wann spricht man von einem Mord?
Mord ist, wenn der Täter besonders skrupellos gehandelt hat. Das heisst, wenn sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Ausführung der Tat besonders verwerflich war. 34,7 Prozent der Partnertötungen wurden als Mord qualifiziert, 58,4 Prozent als vorsätzliche Tötung und 6,9 Prozent als Totschlag.

Welche Strafe sitzen diese Täter ab?
Die Urteile fallen jeweils sehr unterschiedlich aus, je nachdem, ob jemand wegen vorsätzlicher Tötung, Mordes oder Totschlags verurteilt wurde. Die durchschnittliche Länge der Freiheitsstrafe liegt bei Partnertötungen bei 12,1 Jahren. 

Und in welchen Familien kommt es zu solchen Tötungsdelikten?
In unserer Forschung schauen wir verschiedene Faktoren wie Herkunft, Vorstrafen oder die Beziehung zwischen Opfer und Täter an. Bei den Tötungsdelikten in der Schweiz sind zwar Opfer sowie Täter mit Migrationshintergrund generell leicht übervertreten. Bei Partnerinnentötungen oder familiären Tötungen sind jedoch Schweizer Täter in der Mehrheit. Oftmals gibt es ein schwieriges Beziehungsumfeld, in dem es schon länger kriselt. Gerade die Trennung ist ein gefährlicher Zeitpunkt. Zudem kommen die Delikte oft in Beziehungen vor, in denen es im Vorfeld häusliche Gewalt gab, oder in Partnerschaften mit schwierigen Lebenssituationen, die zu viel Streit führen. Aus der Forschung wissen wir, dass prekäre Lebensumstände, Geldsorgen oder enge Wohnverhältnisse Risikofaktoren für häusliche Gewalt sind.

Bis es zur tödlichen Gewalt kommt, gehen oftmals jahrelange Beziehungskrisen voraus und hat bereits häusliche Gewalt stattgefunden.

Es gibt verschiedene Formen der häuslichen Gewalt: physische, psychische, sexuelle, wirtschaftliche und soziale. Wie ist da in der Schweiz die Betroffenheit?
In einer kürzlich durchgeführten Bevölkerungsbefragung haben wir gefragt: Waren sie schon mal Opfer von Gewalt innerhalb der Partnerschaft? Die Ergebnisse waren eindeutig: Rund jede fünfte befragte Person hat schon Gewalt erlebt. Dabei haben wir fünf Arten der Gewalt unter die Lupe genommen. Bei der physischen Gewalt kommt es beispielsweise zu Handgreiflichkeiten oder Drohungen. Die psychische Gewalt äussert sich zum Beispiel darin, dass man vom Partner lächerlich gemacht, gedemütigt und seelisch verletzt wird. Sexuelle Gewalt bedeutet in diesem Zusammenhang Belästigung, Bedrängung, Vergewaltigung. Bei der wirtschaftlichen Gewalt hat eine Person in der Beziehung die wirtschaftlichen Ressourcen unter Kontrolle, beispielsweise das Geld. Und zuletzt die soziale Gewalt, wenn ein kontrollierendes Verhalten über das Sozialleben der Partnerin oder des Partners im Zentrum steht. Die Umfrage ergab, dass eine grosse Betroffenheit bei beiden Geschlechtern herrscht. Während unter der physischen, sexuellen, psychischen und wirtschaftlichen Gewalt besonders Frauen leiden, sind bei der sozialen Gewalt die Männer übervertreten. Und somit zurück zur Frage: Die Schweizer Bevölkerung ist stark betroffen vom Phänomen der häuslichen Gewalt.

Sie sprechen von Tötungsdelikten in Partnerschaften statt von Femiziden. Was ist denn jetzt der korrekte Begriff?
Das Wort Femizid ist in den letzten Jahren besonders durch die Medien aufgekommen und bezeichnet die Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. Der Täter tötet, weil das Opfer eine Frau ist. Doch das ist ein politischer Begriff, kein juristischer. Deshalb sind wir in der Kriminologie zurückhaltend damit. Wichtig festzuhalten ist aber, dass das Wort Femizid bislang politisch und medial viel bewegen konnte und es wichtig ist, für diese Art der Tötungsdelikte einen spezifischen Begriff zu haben. 

Und zum Schluss: Was muss sich in den kommenden fünf Jahren dringend ändern?
Tötungen an Frauen sind ein gleichbleibendes Problem. Wenn man diese Tötungsdelikte reduzieren will, müssen wir jetzt präventiv vorgehen und uns auf diese Art der Delikte fokussieren. Als Gesellschaft müssen wir hinschauen und diesen Tötungen, der schlimmsten Form der häuslichen Gewalt, Aufmerksamkeit schenken. Auf politischer Ebene hat sich in den vergangenen fünf Jahren zwar einiges bewegt. Aber damit dürfen wir uns nicht zufriedengeben. Der Fokus muss auf einer Nulltoleranz bei Gewalt liegen, denn diesen Tötungen gehen oft jahrelange gewalttätige Beziehungen voraus. Es braucht dringend mehr Sensibilisierungs- und Präventionsarbeit. Welche Früchte das trägt, können wir in der Forschung wohl erst in der Zukunft sagen. Dafür müssen wir uns in 15 Jahren wieder zum Interview treffen.

Gerne! Dann hoffentlich mit einem Bericht über positivere Entwicklungen.

Aktionstage gegen Gewalt an Frauen

Die Aktion «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» ist am Samstag mit einer grossen Demo in Bern lanciert worden (zum Artikel).

Mehr Informationen zu den 16 Tagen, prall gefüllt mit interessanten Events in der ganzen Schweiz, unter: www.16tage.ch

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