Die Schweiz tut zu wenig
Menschenhandel: Bundesrat Jans muss liefern!

Beat Jans will stärker gegen Menschenhändler vorgehen. Was dazu nötig wäre, hat die Unia dem Justizminister kürzlich dargelegt. Auch intern hat die Gewerkschaft einiges in Bewegung gebracht.

IST GEFORDERT: Bundesrat Beat Jans muss dafür sorgen, dass die Opfer von Menschenhandel in der Schweiz besser geschützt werden. (Montage: work/Foto: Keystone)

Müssen Mafiosi, Clans und Verbrecherbanden bald bibbern? Justizminister Beat Jans will das zumindest so. Der SP-Magistrat hat sein Bundesamt für Polizei (Fedpol) jüngst mit dem Aushecken einer neuen «Strategie OK» beauftragt. OK steht für organisierte Kriminalität. Und die Bedrohung durch diese nimmt laut Fedpol zu. Jans hat es aber nicht nur auf die Italo-Mafia abgesehen, die in der Schweiz nun schon seit einem halben Jahrhundert aktiv ist. Einen besonderen Schwerpunkt legt der Justizminister auch auf den Menschenhandel.

Letzte Woche hat Jans zu einer entsprechenden Sitzung ins Bundeshaus geladen. Am Tisch sassen Beamte des Fedpol und des Staatssekretariats für Migration (SEM), aber auch sechs Expertinnen der Schweizer Plattform gegen Menschenhandel (Plateforme Traite) und anderer NGO, ein Vertreter des Schweizerischen Arbeitgeberverbands und Unia-Geschäftsleitungsmitglied Bruna Campanello. Sie sagt zum Treffen:

Wir sind zufrieden, dass der Bundesrat auch die Sozialpartner einbezieht, denn um den Menschenhandel effektiv zu bekämpfen, braucht es die Mitwirkung aller relevanten Akteure.

Unia-Geschäftsleitungsmitglied Bruna Campanello. (Foto: Unia)

Dass dazu auch die Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen gehören, findet mittlerweile auch der Bundesrat: Seit 2023 sind sie beteiligt am Nationalen Aktionsplan gegen Menschenhandel (NAP). Die Gewerkschaftsseite vertritt die Unia, was kein Zufall ist.

Polizei nahm Opfer ins Visier

Als grösste Gewerkschaft im Privatsektor hat sie immer wieder mit Menschenhandelsopfern zu tun. Und schon mehrmals haben Unia-Sekretärinnen Menschenhändler auffliegen lassen. Etwa den Ostschweizer Gipsermeister L. M.*, der seine Arbeiter laut Eigenaussage «wie Sklaven halten» oder aber «vergasen» wollte. Tatsächlich hatte er von 2012 bis 2017 mausarme Osteuropäer mit falschen Versprechen in die Schweiz gelockt und sie hier zu Hungerlöhnen ausgebeutet und bedroht.

Gipsermeister wollte ­Büezer «vergasen»

Vor sieben Jahren machte die Unia die brutale Ausbeutung von drei ungarischen Gipsern publik. Jetzt ist ein ganzes System aufgeflogen – und womöglich der grösste Fall von Menschenhandel im Schweizer Baugewerbe.

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Bei der Polizei sind die Opfer damals abgeblitzt – oder gelangten sogar selbst ins Visier der Justiz. Und genau das sei ein häufiges Problem, sagt Unia-Frau Campanello. «Es darf einfach nicht sein, dass Opfer von Menschenhandel Angst haben müssen, wenn sie Anzeige erstatten wollen.» Vom Bundesrat fordert die Unia denn auch einen wirksamen Schutz von Zeuginnen und Opfern während und nach den Ermittlungen. Und um die Anreize zu erhöhen, überhaupt Anzeige zu erstatten, bräuchten die Opfer Aussicht auf materielle Sicherheit. Das ist heute nicht der Fall.

Schweiz ignoriert Lohnausfälle

Denn selbst wenn ein Menschenhändler ins Gefängnis muss, kommen seine Opfer nur dann zu ihrem korrekten Lohn, wenn die Firma des Verurteilten noch existiert und liquid ist. Doch meist haben die Verbrecher und ihre Treuhänder das erbeutete Kapital längst ins Ausland transferiert – und so dem Zugriff der Schweizer Justiz praktisch entzogen. Und ihre Firmen sind heute nicht strafbar. Die Unia forderte am Treffen mit Jans, dies zu ändern. Am drängendsten sei jedoch die Entschädigungsfrage. Dazu Campanello:

Die Schweiz muss endlich ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen und dafür sorgen, dass die Opfer für ihre nicht bezahlten Löhne entschädigt werden.

Genau das fordert von der Schweiz auch GRETA, die Expertengruppe des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels.

Entschädigungsfrage im Parlament

Doch in der Entschädigungsfrage scheint Jans nicht gerade aufs Gas zu drücken. Er habe am Berner Austauschtreffen durchblicken lassen, dass angesichts der aktuellen Debatten um die Bundesfinanzen ein Entschädigungsfonds nicht einfach zu bewerkstelligen sei. Das bestätigen mehrere Quellen.

Der Tatbestand Menschenhandel hat nach inte­­r­nationaler Definition drei Merkmale: Es braucht erstens eine aktive Anwerbung, Beförderung oder Beherbergung von Personen. Zudem müssen zweitens unerlaubte Zwangsmittel wie Gewalt, Nötigung, Entführung, Betrug oder Täuschung zum Zug kommen. Dies drittens mit dem Ziel der sexuellen Ausbeutung, der Ausbeutung der Arbeitskraft oder der Ent­nahme von Organen.

In der Schweiz tritt Menschenhandel am häufigsten in der Prostitution auf. Aber auch Nagelstudios, die Hauswirtschaft, der Bau oder die Landwirtschaft sind Problembranchen. Die Unterform «Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung» verbietet das Schweizer Strafgesetzbuch seit 2006 explizit. Doch Strafurteile dazu sind extrem selten. Bis 2018 haben Gerichte nur zehn Urteile gesprochen. Das wirft Fragen auf. Denn die Schweizer Plattform gegen Menschenhandel, die Plateforme Traite, registrierte 71 Opfer allein fürs Jahr 2021.

Um dem Bundesrat Beine zu machen, scheint daher ein parlamentarischer Auftrag nötig. Und tatsächlich ist im Nationalrat bereits eine überparteiliche Motion für eine effektive Opferentschädigung in Vorbereitung. Sie dürfte noch in dieser Wintersession eingereicht werden. Bis eine Verbesserung eintritt, dürften allerdings noch Monate bis Jahre verstreichen. Die Unia fährt daher nach eigenem Fahrplan.

Unia schult Mitarbeitende und Mitglieder

Entsprechend den im NAP gesteckten Zielen sensibilisiert die Unia ihre Mitarbeitenden wie auch ihre Mitglieder im Umgang mit dem Thema. Erst Anfang November fand in der Gewerkschaftszentrale in Bern eine grosse Tagung aller Unia-Rechtsberaterinnen und ‑berater statt. Einziges Traktandum: die Bekämpfung des Menschenhandels in der Schweiz und effektive Hilfe für die Ausgebeuteten. Auch das gewerkschaftliche Bildungswerk Movendo führt seit 2022 jährlich Kurse zum Thema durch. Und im letzten Februar schloss die Unia in Neuenburg eine Kooperationsvereinbarung mit der Sozialhilfestiftung FAS ab. Diese bietet spezialisierte Sprechstunden an. Ähnliche Kooperationen strebt die Unia auch in anderen Kantonen an.
 
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