Ein bemerkenswert offenes Interview in der «Gewerbezeitung»
Diese SVP-Nationalrätin will das Arztgeheimnis abschaffen

Diana Gutjahr führt als Erbin ein KMU und sitzt für die Thurgauer SVP im Nationalrat. Sie möchte das Arztgeheimnis gegenüber den Arbeitgebern aufheben und am liebsten selbst entscheiden, ob Mitarbeitende krank sind oder nicht.

GEFÄHRLICHE IDEE: KMU-Erbin und SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr glaubt, als Arbeitgeberin kann sie einem erkrankten Mitarbeiter besser helfen als eine Ärztin. (Foto: Keystone)

«Wir müssen die Ursachen anpacken», ist ein Interview überschrieben, das unlängst in der «Schweizerischen Gewerbezeitung» erschienen ist. Das tönt so anpackend, wie wir Gewerblerinnen und Handwerker gerne sehen. Zum Beispiel, wenn die Kellerwände durchnässt sind oder sich ein Schimmelpilz im Badezimmer ausbreitet.

Doch SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr geht es nicht darum, sondern um kranke Mitarbeitende. Auch das tönt lobenswert. Denn schliesslich sind immer mehr Lohnabhängige Arbeitsbedingungen ausgesetzt, die krank machen. Doch Gutjahr geht es um etwas anderes: Ihr scheint offenbar, dass die Lohnabhängigen verweichlicht sind und sich um die Arbeit drücken. Ärztinnen und Ärzte leisten Beihilfe dazu, weil sie «ihre Untersuchungen vollständig abrechnen» können. So die Gutjahr-Diagnose. Und: «Mir kommt es so vor, als dass wir Unternehmer noch die einzigen sind, die (…) daran interessiert sind, dass die Kosten nicht vollständig aus dem Ruder laufen.»

Welche Studien?

Ganz besonders ärgert sich Gutjahr über Menschen, die wegen psychischer Probleme krank geschrieben sind. Denn, so Gutjahr:

Wenn Personen psychisch angeschlagen sind, lässt sich das nur zu einem kleinen Teil auf die Arbeit – wenn überhaupt – zurückführen. Das besagten auch Studien.

Um welche Studien es sich handelt, führt Gutjahr nicht aus. Sicher nicht meinen kann sie die neuste Europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen (EWCS). Diese ist letztes Jahr erschienen. Die repräsentativen Zahlen aus der Schweiz lieferten das bekanntlich nicht im Verdacht der Lohnabhängigen-Freundlichkeit stehende Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und die Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (Ekas). Die Studie zeigt unter anderem:

  • Mehr als die Hälfte der Schweizer Arbeitnehmenden sind berufsbedingten psychosozialen Risiken und weiteren Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Das sind fast doppelt so viele wie noch vor 20 Jahren.
  • 59 Prozent der Arbeitnehmenden leiden oft oder immer unter hohem Arbeitstempo und 52 Prozent unter Termindruck. Das ist deutlich mehr als im europäischen Durchschnitt (49 und 47 Prozent).
  • Eine Mehrheit der Schweizer Angestellten berichtete zudem von Belastungen für den Bewegungsapparat (55 Prozent), was wiederum unter dem europäischen Durchschnitt von 66 Prozent liegt.

«Gewerbenahe Ärzte»

Was also meint Gutjahr, wenn sie «die Ursachen anpacken» will? Gesündere Arbeitsbedingungen etwa? Nein, das dann doch nicht. Gutjahrs Lösung: Das Arztgeheimnis soll gegenüber Arbeitgebern nicht mehr gelten. Oder in den Worten der SVP-Nationalrätin:

Ich denke, die ärztliche Schweigepflicht gegenüber dem Arbeitgeber sollte ein Stück weit gelockert werden – so in der Art einer ‹arbeitsplatzbezogenen Schweigepflichtentbindung›.

Und überhaupt: «Ärzte vergessen teilweise, dass die Arbeitgeber am nächsten am Arbeitnehmer dran sind. Generell sollte das Zusammenspiel verbessert werden. Mit gewerbenahen Ärzten funktioniert das gut.»

Krebs? Entlassung!

Wie sich solche Gutjahrschen Zweitdiagnosen auswirken würden, lässt sich nur erahnen. Immerhin anhand eines Beispiels, das Gutjahr selber liefert: Ein Mitarbeiter erkrankte an Krebs und fiel darum «mehrere Monate» aus. War aber danach – so die Gutjahr-Diagnose – «körperlich wieder gesund». Doch er «bekam durch die Krankheit auch psychische Probleme». Offensichtlich so ernsthafte, dass er deswegen arbeitsunfähig blieb, wie ein Psychiater feststellte. Doch Gutjahr zweifelt die Diagnose offenbar an und hätte eher «eine Tagesstruktur» in ihrer Firma verschrieben. Darum kündigte sie schliesslich dem Mitarbeiter beziehungsweise «ich musste ihm kündigen, so leid es mir tat».

Übrigens: Das alles erzählt Gutjahr, weil sie keine obligatorische Krankentaggeld-Versicherung will. Denn wenn weder ein GAV noch ein individueller Arbeitsvertrag eine Krankentaggeld-Versicherung vorsieht, kommen die Arbeitgeber sehr billig weg: selbst nach zehn Dienstjahren haben Lohnabhängige höchstens Anspruch auf vier Monate Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Nationalrat für Obligatorium

Eine Mitte-Motion, die eine obligatorische Krankentaggeld-Versicherung fordert, hat der Nationalrat im September gegen den Willen des Bundesrates und jenen von SVP, FDP und GLP überwiesen.

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