«Die Nazis vom Schächenwald»
Wie Urner Hitler-Fans Landesverrat begingen – und von Schwingern vermöbelt wurden

Ein neues Buch enthüllt die Machenschaften einer Nazizelle in der Munitionsfabrik Altdorf. Aber es zeigt auch den zünftigen Widerstand von mutigen Urnerinnen und Urnern.

HITLERS ANHÄNGER IN DER SCHWEIZ: Das Bild zeigt einen Aufmarsch der «Reichsdeutschen Jugend» auf dem Letzigrund in Zürich, Herbst 1941. (Quelle: Verlag Alpenrot)

Die «Pouletburg» in Attinghausen UR ist unter Güggeli-Fans eine Institution. Seit mehr als einem halben Jahrhundert zaubert die urchige Beiz vor allem eines auf den Tisch: «Poulet im Chörbli». Was aber kaum jemand weiss: «Pouletburg»-Gründer Hans Imholz (1913–1984) war ein glühender Nationalsozialist und sass jahrelang im Gefängnis – wegen Landesverrats zugunsten Hitlerdeutschlands.

Das zeigt der Urner Historiker Reto Gamma in seinem neuen Buch «Die Nazis vom Schächenwald». Für die Recherche hat er reichhaltiges Quellenmaterial zusammengetragen. Darunter die Aussage vor Militärgericht einer 19jährigen Kellnerin. Sie hatte 1941 im damaligen Restaurant Burg eine Stelle angenommen, aber sofort wieder gekündigt. Der Grund:

In fast allen Räumen hätten Hitler-Portraits gehangen. Und die Stammgäste hätten stets den «deutschen Gruss» gemacht und die Wirtin, Hans Imholz’ Mutter, mit «Heil Hitler» begrüsst.

Die «Burg» war aber nicht bloss eine rechte Kneipe, sondern quasi die Schaltzentrale einer umtriebigen und gut vernetzten Nazizelle, deren Mitglieder mit NSDAP-Funktionären konspirierten und zuletzt teils nur knapp der Todesstrafe entgingen.

Die Fabrik als Rekrutierungsplatz

Rekrutiert haben die Urner Rechtsextremen aber nicht primär in der Beiz, sondern beim damals grössten Arbeitgeber im Kanton, der Munitionsfabrik Altdorf (MFA). Dieser Bundesbetrieb (später Ruag) produzierte aus Sicherheitsgründen in vielen Kleinwerkstätten in einem Waldstück namens Schächenwald.

IM FOKUS: Aufnahme der Munitionsfabrik Uri aus dem Jahr 1915. (Foto: Staatsarchiv Uri)

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs schoss der Personalbestand von unter 1000 auf über 2500 Arbeiterinnen und Arbeiter. Auch der Wirtesohn Hans Imholz, damals erst Mitte zwanzig, fand dort einen Job – und den vermeintlich optimalen Rekrutierungsplatz für seine Nazizelle. Tatsächlich bestand seine rund 30köpfige Gruppe mehrheitlich aus MFA-Arbeitern. Doch Historiker Gamma betont, dass im Schächenwald viele Sozialdemokraten und Gewerkschafter arbeiteten. Konflikte waren daher häufig, zumal die Imholz-Bande nicht mit Provokationen sparte.

Flüche, Prügel und ein Buebetrickli

Um gegnerische Arbeiter zu vertreiben, schoss Imholz einmal sogar mit einem Karabiner aus dem elterlichen Gasthof. General Henri Guisan beleidigte er öffentlich als «Dubel» und «Halunk». Und im Restaurant Tell in Altdorf bezeichnete er eine Gruppe von Schwingern als «Idiotenbande». Das liessen diese nicht auf sich sitzen. Eine Saalschlacht samt zerbrochenen Stühlen war die Folge. Wegen Raufereien im Betrieb flog Imholz 1940 auch aus der Munitionsfabrik.

Überhaupt verfolgte die Urner Bevölkerung das Geschehen sehr kritisch. Gamma schildert diverse Unmutsbekundungen. Da ist eine mutige Gwerbler-Ehefrau, die die Imholz-Bande am Bahnhof Altdorf als «Sauchaibe» tituliert, als sie sieht, wie diese den Hitlergruss machen. Oder da ist der junge Stromer Franz Imhof, der später als Sportfan «Bibi» zur Urner Legende und international bekannt wird. Im Jahr 1940 bindet er der Frau eines rechtsextremen MFA-Arbeiters einen Bären auf und kommt so an brisante Dokumente der Faschisten. Die Aktion spricht sich im Nu herum. Auch die Bundesanwaltschaft wird aktiv, bestraft aber Imhof, nicht den Nazi. Dieser setzt sich später nach Deutschland ab und orchestriert von dort eine Spionageaktion gegen die Schweiz.

Verrätervater war Gerichtspräsident

Ein Jahr nach «Bibi» Imhofs Enthüllungsaktion kommt es zur Grossrazzia gegen die Urner Naziszene. Neun Personen landen in U-Haft, und die Verhöre fördern Brisantes zutage. Wirtesohn Imholz gesteht, dass er einem deutschen Agenten eine Skizze der MFA-Fabriken angefertigt habe. Die Bundesanwaltschaft wertet dies als Verrat militärischer Geheimnisse. Denn bei einer Invasion wüssten die Deutschen nun, welche Gebäude zu bombardieren seien. Der Fall zieht weite Kreise. Imholz’ Vater, der nicht nur Wirt, sondern auch Urner Landgerichtspräsident ist, wird suspendiert. Und ein Militärtribunal verurteilt Imholz und einen Mitstreiter wegen Landesverrats. Einem Todesurteil entgehen sie nur knapp, kassieren aber die maximale Haftstrafe von 15 Jahren.

Verschwiegene Geschichte

Diese Urteile sieht Gamma jedoch durchaus kritisch. So verweist er auf die fetten Geschäfte, die die MFA gleichzeitig und insgeheim mit Nazideutschland abwickelte. Tatsächlich lieferte der eidgenössische Betrieb 7 Millionen Geschosse an Oerlikon Bührle, von wo diese direkt an die Wehrmacht gingen – zusammen mit den passenden Kanonen. Das zeigten Akten, die erst 1990 zugänglich wurden. Für Gamma nichts anderes als eine Neutralitätsverletzung, die unter den Teppich der Geschichte hätte gekehrt werden sollen.

Das Buch

Reto Gamma: DIE NAZIS VOM SCHÄCHENWALD, Alpenrot Verlag Bern, 2024, 116 Seiten, 32 Franken. Bestellen unter alpenrot.ch

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