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Auf der Suche nach Antworten: Rieker beutet Arbeiterinnen in Tunesien aus

work-Journalist Iwan Schauwecker war in Thayngen (SH) beim Schuhkonzern Rieker. Dort wollte er herausfinden, was der Konzern zu den Vorwürfen in Tunesien sagt.

Moderation und Kamera: Iwan Schauwecker | Schnitt: Julia Neukomm

Im Schuhladen von Rieker am Hauptsitz der Firma in Thayngen SH ist an diesem Januarmorgen nicht viel los. «Weniger Stress, mehr Leben! Wellness für die Füsse», heisst es auf der Werbetafel für die Antistress-Schuhe. Die Verkäuferin im «Rieker Schuh Factory Outlet» ist hilfsbereit. Auf die Frage, wo die Schuhe produziert werden, hat sie keine Antwort. Eine Herkunftsbezeichnung habe es bei den Schuhen von Rieker nie gegeben.

Besuch am Hauptsitz

Über die Probleme in der Tochterfirma Ritun in Tunesien (work berichtete) weiss auch die Sekretärin am Empfang nichts. Sie sagt, dass in der Firma niemand für Presseanfragen zur Verfügung stehe – dies bei einem Konzern mit weltweit etwa 20 ’000 Mit­arbeitenden. Die work-Zeitung mit dem Artikel über das skandalöse Vorgehen gegen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaften in Tunesien werde sie ihrem Chef aber weitergeben. Auch bei Markus Rieker, dem Firmenerben, 500fachen Millionär und Verwaltungsrat der Antistress Holding Group, sind alle telefonischen Kontaktversuche vergebens.

Inhaftiert und entlassen

Das tunesische Recherchekollektiv Nawaat hat die gewerkschaftlichen Proteste in Tunesien dokumentiert und sich mit Arbeiterinnen von Ritun getroffen. Radhia S. ist eine der verhafteten und entlassenen Arbeiterinnen. Während 15 Jahren arbeitete sie für Ritun. Zu Nawaat sagt sie:

Als ich über meine Rechte sprach, wurde ich eingesperrt: Die vier Tage im Gefängnis habe ich erlebt, als wären es vier Jahre meines Lebens, es war erniedrigend.

VERHAFTET, WEIL SIE SICH GEWEHRT HAT: Büezerin Radhia S. (Foto: Nawaat)

Krebs nach 9 Jahren in der Fabrik

Auch Leila M. (33) ist eine Arbeiterin, die von Ritun entlassen und verklagt wurde. Nach neun Jahren in der Schuhfabrik leidet sie unter verschiedenen mutmasslich berufsbedingten Krankheiten. Sie sagt: «Unser Arbeitstag beginnt um fünf Uhr morgens und dauert zwölf Stunden.»

Wegen ihrer Arbeit habe sie kaum noch Kontakt zu ihren Kindern und leide unter chronischen Rückenschmerzen und seit kurzem unter einer Krebserkrankung. Leila ist überzeugt, dass der Krebs eine Folge der Chemikalien ist, mit denen sie in der Fabrik in Kontakt kam. Schutzmasken habe es nur während der Covid-Pandemie gegeben. Und die Rückenschmerzen führt sie auf das tägliche Heben von 15 Kilogramm schweren Säcken zurück. Als sie ihren Chef gebeten habe, über die Probleme im Betrieb zu sprechen, habe dieser den Dialog verweigert und sie und ihre Kolleginnen verhaften lassen. Doch aufgeben will Leila nicht:

Ich werde weiterhin meine Rechte einfordern. Ich werde nicht lockerlassen, bis zu meinem letzten Atemzug.

GIBT NICHT AUF: Schuhfabrik-Arbeiterin Leila M. (Foto: Nawaat)

Was sich mit Konzernverantwortung 2.0 ändert

Als nicht börsenkotiertes Unternehmen ist Rieker unter der aktuellen Schweizer Gesetzgebung zu keiner menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung verpflichtet. Im Falle einer Annahme der neuen Konzernverantwortungsinitiative würde sich dies ändern. Die Koalition für Konzernverantwortung schreibt auf Anfrage von work: «Als Konzern mit über 1000 Mitarbeitenden muss Rieker sicherstellen, dass das Tochterunternehmen Ritun die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit nicht einschränkt.» 

Zu den möglichen Klagemöglichkeiten will sich die Koalition in diesem Fall nicht äussern. Für Frauen wie Leila und Radhia heisst es im Moment vor allem: Mit der Unterstützung von Gewerkschaften und solidarischen Menschen überleben und weiter für ihre Würde und Rechte kämpfen. 

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