Am 9. Februar stimmen Baselland und Solothurn ab
Vernünftige Gewerbler werben für kantonale Mindestlöhne

Gegen Löhne, die zum Leben ­reichen, laufen in den ­Kantonen ­Baselland und Solothurn die ­üblichen ­Hungerlohn-Koalitionen aus ­Verbandsideologen und ­rechten ­Parteien Sturm. Doch an der ­Gewerbe-­Basis und beim Freisinn gibt es auch andere Stimmen.

Dominique Becht ist Miteigentümer der Solomnia GmbH im solothurnischen Welschenrohr. Die Solomania produziert unter anderem Teigwaren und Dörrbohnen. Er sagt: «Unternehmerinnen und Unternehmer, die den Mindestlohn nicht bezahlen können, haben kein nachhaltiges Geschäftsmodell und profitieren auf Kosten der Ärmsten. Faire Löhne führen zu weniger Sozialhilfekosten für Kanton und Gemeinden.» Becht ist Mitglied des Gastro-, Gewerbe- und Unternehmenskomitees für den kantonalen Mindestlohn. Im Kanton Baselland engagiert sich gar der ehemalige FDP-Präsident und Unternehmer Paul Hofer für den Mindestlohn. Er sagte der «Basler Zeitung»:

Unser System verträgt einen Mindestlohn. Die Initiative ist sachlich, überhaupt nicht kommunistisch, links oder Juso, wie zum Teil kolportiert wird.

Die Fakten

Die Argumente für einen Mindestlohn sind tatsächlich einfach und klar: Wer 100 Prozent arbeitet, soll von seinem Lohn leben können. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch noch immer bekommen Hunderttausende Arbeitnehmende in der Schweiz weniger als 4000 Franken Monatslohn für einen 100-Prozent-Job ausbezahlt.

Aber Arbeitgeberideologen wollen keine Min­dest­löhne. Nicht in Gesamtarbeitsverträgen, nicht in der Bundesverfassung, nicht in Kantonsverfassungen, nicht in Städten. Geht es um nationale Mindestlöhne, sehen sie den Föderalismus verletzt. Geht’s um kantonale Mindestlöhne, sehen sie die Kantone gegenüber Nachbarkantonen benachteiligt.

Alte Behauptungen

Und genau mit diesen Nicht-Argumenten bekämpfen sie jetzt auch in den Kantonen Basel-Landschaft und Solothurn die kantonalen Mindestlöhne. In beiden Kantonen kann das Volk am 9. Februar darüber abstimmen, ob auch bei ihnen ein 100-Prozent-Job zum Leben reichen soll. Hinter den Initiativen stehen die Gewerkschaften und die fortschrittlichen Parteien.

Arbeitgeberverbände und die Parteien von ganz bis halb rechts treten mit viel Geld dagegen an. Und mit längst widerlegten Argumenten. Die lauten: Der kantonale Mindestlohn sei ein «Jobkiller». Arbeitsplätze für wenig qualifiziertes Personal würden in umliegende Kantone ohne Mindestlohn oder ins Ausland abwandern.

Klare Studien …

Für den Mindestlohn in Genf konnten gleich zwei Studien im Auftrag des Kantons keinen wesentlichen Einfluss auf die Arbeitslosigkeit nachweisen. Selbst bei jungen Beschäftigten ohne Lehre finden sich keine besorgniserregenden Auswirkungen. Auch der Tessiner Mindestlohn kann nicht mit höherer Arbeitslosigkeit in Verbindung gebracht werden. Er erhöhte aber die tiefsten Löhne merklich, wie eine neue Untersuchung der Universität der italienischen Schweiz zeigt. Ein plausibler Erklärungsansatz: Arbeitgeber bezahlen besonders im Tieflohnbereich weniger Lohn, als sie sich eigentlich leisten könnten. Denn hier haben die Lohnabhängigen nur wenige Job-Alternativen.

… und ein Wunsch-Papier

Die Studien sind also klar (work berichtete). Das ärgert natürlich die Fans von Dumping-Löhnen. Und so haben sie sich eine passende «Studie» bestellt und bezahlt. Geliefert hat diese Conny Wunsch vom Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel. Wunschgemäss steht darin: Bei einem Mindestlohn werden Firmen Arbeitsplätze abbauen und die Preise erhöhen. Blöd nur: Die Umfrage ist nicht im geringsten repräsentativ. Sie basiert auf Aussagen von Firmen, die sich selber gemeldet haben – nachdem die die «Studie» finanzierenden Firmen den Link dazu über ihre Newsletter verteilt hatten. Und: Ob die Antworten stimmen oder wenigstens plausibel sind, wurde nicht überprüft. Dafür reichte das Geld der Wirtschaftsverbände offenbar nicht.

Ja aus der Gewerbe-Basis

Während Verbandsideologen und bürgerliche Politikerinnen gegen Mindestlöhne auf allen Ebenen Sturm laufen, melden sich also Unternehmerinnen und Unternehmer aus der Praxis zu Wort und werben für ein Ja. Im Kanton Solothurn zum Beispiel auch Bodenleger-­Gewerbler Stefan Schaad. Er sagt: «Durch gerechte Löhne wird nicht nur die Eigenverantwortung gefördert, sondern auch die lokale Wirtschaft gestärkt, indem die Kaufkraft erhöht und regionales Wachstum gefördert wird.» Hotelier Rolf Trechsel ergänzt:

Unternehmen, die bereits faire Löhne zahlen, erhalten durch einen Mindestlohn gleiche Bedingungen. Dies ermöglicht einen fairen Wettbewerb, in dem die Qualität im Vordergrund steht.

Am 9. Februar hat das Stimmvolk dies- und jenseits des Hauensteins die Wahl zwischen den widerlegten Angstszenarien der Hungerlohn-Koalitionen oder der Selbstverständlichkeit, dass ein 100-Prozent-Job für ein Leben ohne Sozialhilfe reichen muss.

Wie die Mindestlohn-Initiativen ausgestaltet sind, ist unter diesem Link und hier nachzulesen.


Update: Zürich und ­Winterthur vor Bundesgericht, Bern ist auf gutem Weg

Im Jahr 2023 haben die Zürcherinnen und die Winterthurer mit grossen Mehrheiten Ja gesagt zu Löhnen, die zum Leben reichen. Das passt den rechten Parteien und den Gewerbeverbänden nicht. Sie verzögern die Umsetzung der Volksentscheide mit juristischen Mitteln. Beim Bezirksrat als erster Instanz ohne Erfolg. Doch die rechte Mehrheit einer Verwaltungsgerichtskammer unter dem Vorsitz des FDPlers Reto Häggi unterstützte die von Mitte-Nationalrätin Nicole Barandun angeführte klagende Hungerlohn-Koalition. Die Städte Winterthur und ­Zürich zogen jetzt den Richterentscheid gegen ihre Stimm­bevölkerungen weiter ans Bundesgericht.

Gültig

Auch in der Stadt Bern ist die Initiative für einen städ­tischen Mindestlohn klar zu­stande gekommen – obwohl zwischenzeitlich 1600 Unterschriften auf der Stadtverwaltung verschwunden waren.

Unterdessen hat die Stadtre­gierung die Initiative für gültig erklärt. Nach erneuten juristischen Abklärungen hält die Berner Stadtregierung fest: «Die Initiative ist mit dem überge­ordneten Recht vereinbar.» Für den Erlass des Mindestlohn­reglements ist der Stadtrat (Parlament) zuständig. Zu einer Volksabstimmung kommt es damit nur, falls der Stadtrat die Vorlage ablehnt, ein Gegenvorschlag erarbeitet wird oder das fakultative Referendum ergriffen werden sollte. (cs)

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