Kolumne EUropa
Juristischer Paukenschlag: EU-Mindestlohnrichtlinie

Roland Erne war Chemielaborant und GBI-Jugendsekretär. Seit 2017 ist er Professor für Europäische Integration und Arbeitsbeziehungen am University College Dublin. (Montage: work)

Für das soziale Europa hat das Jahr mit einem Paukenschlag begonnen: Am 14. Januar empfahl EU-Generalanwalt Nicholas Emiliou dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), die Mindestlohnrichtline zu annullieren. Sein Antrag stützt eine Klage Dänemarks gegen EU-Parlament und Rat, da deren Mindestlohnrichtlinie die Autonomie der nationalen Sozialpartner untergraben würde.

Tönerne Füsse

Die ersten juristischen Analysen gehen nicht davon aus, dass die Klage Erfolg haben wird. Für Claire Kilpatrick und Marc Steiert vom Europäischen Hochschulinstitut in Florenz steht die Argumentation von Generalanwalt Emiliou auf tönernen Füssen. Auch der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) geht davon aus, dass der EuGH der Klage kaum zustimmen wird. Bei der Richtlinie geht es vielmehr darum, mit sozialpolitischen Massnahmen allen Büezerinnen und Büezern in Europa ­einen «angemessenen Lebensstandard» zu sichern. Dazu gehören Ak­tionspläne, um mehr Arbeitnehmende unter GAV-Schutz zu stellen. Zudem müssen Länder mit gesetzlichen Mindestlöhnen diese künftig regelmässig erhöhen und dafür sorgen, dass sie existenzsichernd sind. Da die Zahlung dieser Löhne durchgesetzt werden muss, sind alle EU-Länder künftig verpflichtet, den Lohnschutz zu stärken.

Business Europe

Dennoch bleibt der Ausgang der Klage offen, zumal eine starke Lobby hinter dem Angriff auf die Mindestlohnrichtlinie steht. Von Anfang an setzte der europäische Dachverband Business Europe, dem auch der Schweizer Arbeitgeberverband angehört, alles auf die juristische Karte. Im Gesetzgebungsverfahren ist Business Europe damit kläglich gescheitert.

Mangelnde Klarheit

Für Anwalt Emiliou ist es die Aufgabe des EU-Gerichtes, die Probleme zu lösen, die sich aus unklaren Formulierungen der EU-Verträge ergeben, da die EU auf Rechtsstaatlichkeit beruhe. Dabei lässt er den Wert der Demokratie, der im EU-Vertrag vor der Rechtsstaatlichkeit genannt wird, bequemerweise einfach weg.

Politischer Konflikt

Ob Sozialpartner arbeits- und sozialpolitische Massnahmen auf nationaler oder europäischer Ebene bevorzugen, hängt nicht von abstrakten Prinzipien ab, sondern von der Stossrichtung der vorgeschlagenen Massnahmen. Der EuGH sollte deshalb das Resultat des EU-Gesetzgebungsprozesses so akzeptieren. An dieser demokratischen Ausmarchung nahm nicht nur das EU-Parlament und der Ministerrat teil, sondern auch der EGB und Business Europe als europäische Sozialpartner sowie viele nationale Parlamente. Übrigens war auch Nicholas ­Emiliou als damaliger ständiger Vertreter Zyperns im Ministerrat am politischen Prozess beteiligt, den er jetzt juristisch wieder aushebeln will.

Roland Erne schreibt hier im Turnus mit Regula Rytz, was die europäische Politik bewegt.

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